Das andere Gesicht

Autor Jürgen Drews

Sie stutzte, als sie den Mann, der nur wenige Meter von ihr entfernt ein Schaufenster betrachtete, zu erkennen glaubte, verzögerte ihren Schritt und blieb stehen. Dann musterte sie die in den Anblick irgendeines Gegenstandes vertiefte Gestalt genauer. Die Ähnlichkeit war frappierend. Er wandte ihr nur sein Profil zu, aber nach wenigen Augenblicken war sie sicher. Die gerade Stirn, die fast ohne Unterbrechung in den Nasenrücken überging, das nicht besonders ausgeprägte, aber dennoch entschlossen wirkende  Kinn, der Ansatz des dunkelbraunen, jetzt mit grauen Strähnen durchsetzten Haares. Er war es: Hans. Hans Delius, den sie geliebt und auf den sie gewartet hatte. Monate lang, Jahre lang, ein ganzes Leben lang. Er war nie mehr gekommen, nachdem er damals gegangen war. Auch jetzt nicht. Er kam ja nicht zu ihr, er ging hier nur vorbei, aber bei seinem Anblick spürte sie einen Abglanz des Gefühls von damals. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Und genau in diesem Augenblick, in dem sie sicher war, dass Hans Delius vor ihr stand, wandte sich die Gestalt vom Schaufenster ab und sah sie an. Aus blauen, sich nach einer Sekunde erstaunt weitenden Augen. Er trat auf sie zu. Das Erstaunen in seinem Blick nahm zu, verwandelte sich fast in Erschrecken, das jedoch nicht länger dauerte als ein Wimpernschlag. „Renate“, sagte er, und seine Stimme klang dabei ganz alltäglich, so, als grüße er eine Bekannte, die ihm täglich oder wöchentlich auf seinen Wegen durch die Stadt begegnete.

„Hans, mein Gott, entschuldige …“ Renate legte die rechte Hand auf das Revers ihres Mantels, um ihren Herzschlag zu besänftigen. „Verzeih, aber das kam jetzt völlig unerwartet.“ Ihr Atem ging ein wenig schneller, als sei sie gelaufen, aber dann hatte sie sich gefasst. „Du siehst aus wie damals.“ Sie ließ ihre dunkelbraunen Augen über sein Gesicht wandern. Er sah gut aus, ein paar Pfunde waren wohl hinzugekommen, denn seine athletische Figur kam ihr jetzt fast ein wenig vierschrötig vor. Der Haarschopf hatte sich ein wenig gelichtet und wies ein paar graue Strähnen auf, aber sonst? „Wer dich vor vierzig Jahren gesehen hat, wird dich ohne Weiteres wiedererkennen.“

Der Mann vor ihr nickte. „Mir geht’s genauso. Das weiße Haar – darauf war ich nicht gefasst, es hat mich verwirrt. Aber der Rest ist wie früher.“

Jetzt standen sie nahe beieinander. Sie lächelte, reichte ihm ihre Hand. Er nahm sie, legte seine Linke auf ihren rechten Arm und zog sie näher zu sich heran. Auch in dieser Berührung erkannte sie ihn wieder.

„Hans. Und ich dachte, du seiest gar nicht mehr in Deutschland. Bist du zu Besuch hier?“

Er antwortete nicht, sondern ließ seine Blicke über ihren Kopf hinweg die belebte Straße entlangwandern. „Gibt es hier irgendwo ein Café?“

Sie wusste es nicht. „Ich komme immer nur zum Einkaufen hierher.“

„Wir finden schon etwas“, sagte Delius und wollte weitergehen, aber Renate spürte, sie beide empfanden, dass ihre Begegnung nicht einfach eine unerwartete und vielleicht kuriose Begebenheit bleiben könne. Vierzig Jahre waren vergangen, seit sie sich getrennt hatten. Was heißt getrennt, dachte Renate, er war einfach fortgegangen. Sie hatte nie aufgehört, an ihn zu denken. Lange hatte sie geglaubt, er würde wiederkommen. Aber er hatte nie von sich hören lassen, nie geschrieben, nie angerufen. Als sie durch gemeinsame Freunde erfuhr, dass er weit weggegangen wäre, nach England zunächst und dann nach New York, hatte sie ihren Glauben aufgegeben und nur noch gehofft.

Und Delius? Für ihn hatte sich die Frau, die jetzt vor ihm stand und deren Gegenwart er als etwas Altvertrautes und ihm Zugehöriges empfand, in eine Erinnerung verwandelt, die mit den Jahren alle Schlacken, alle Schärfen und alles Dunkle abgelegt hatte und zu der seine Gedanken mit zunehmender Bereitschaft zurückkehren konnten. Was sie damals getrennt hatte, erschien ihnen in diesem Augenblick seltsam fern und unwirklich, ganz anders als ihre plötzlich zu Stande gekommene physische Gegenwart, in der sich eine vertraute Gemeinsamkeit abbildete. Die kam ihnen vor wie ein lange nicht mehr getragenes, aber  durch Gewohnheit angenehm gewordenes Kleidungsstück, in das man sofort hineinschlüpfen konnte, um sich darin wohlzufühlen. Nein, dieser unerwartete Augenblick  durfte nicht einfach vorübergehen, dachte Renate. „Gehen wir doch zu mir“, schlug sie vor, „wenn du Zeit hast?“

Was für eine Frage. Natürlich hatte er Zeit, und  wenn ihm eine Verpflichtung oder eine Verabredung im Wege stünde, würde er sich Zeit nehmen. Aber davon konnte nicht einmal die Rede sein. Er hatte sich an diesem Nachmittag durch Charlottenburg treiben lassen, durch den Teil Berlins, den er kannte, in dem er früher selbst gelebt hatte.

„Wo wohnst du?“, fragte er Renate, und die beschrieb ihm einen zur Fasanenstraße gehörigen Durchgang, in dem sich einige Geschäfte befanden und von dem aus ihre im vierten Stock eines Altberliner Mietshauses gelegene Wohnung zu erreichen war. „Es sind nur ein paar Schritte“, ermunterte sie Delius und hängte sich bei ihm ein. Er benötigte etwas Zeit, um sich zu sammeln. Eben noch hatte er die Schaufenster am Kurfürstendamm betrachtet, sich über die Preise einzelner Artikel gewundert und sich gefragt, wer in dieser Stadt für eine gut geschnittene Lederjacke fast zweitausend Euro und für ein Paar Schuhe immerhin ein Viertel bis ein Drittel dieser Summe auf den Ladentisch blättern würde. Eben noch hatte er sich in den kleinlichsten Verästelungen der Gegenwart befunden, und jetzt? Eine Vergangenheit, die er längst als abgeschlossen betrachtet hatte, war plötzlich Gegenwart geworden, und er war sofort, ohne sich im Mindesten zur Wehr zu setzen, in ihren Sog geraten. Er spürte den leichten Druck von Renates Hand auf seinem Ärmel, und obwohl er einen Wollmantel trug, um sich gegen die kühle herbstliche Witterung zu schützen, meinte er die Wärme von Renates Hand durch den Stoff hindurch wahrzunehmen. Der Weg, den sie zu gehen hatten, war zu kurz für wichtige Themen, aber einfach schweigen konnte Renate auch nicht. So fragte sie Hans nach dem Hier und Heute. „Wo bist du abgestiegen, wirst du länger in Berlin bleiben? Kommst du öfter hierher, oder ist es das erst Mal seit damals?“

Delius kannte den Weg zu Renates Wohnung nicht. Er lief neben ihr her und fragte sich, wie Renates Leben verlaufen war, seit er sie zum letzten Mal gesehen hatte. War sie allein geblieben? Was tat sie beruflich? Wie war es möglich, dass er nach so langer Zeit nicht die geringsten Hemmungen empfand, ihr in ihre Wohnung zu folgen? Im „Bristol“ sei er abgestiegen, antwortete er auf ihre Frage. Nein, dieser Besuch sei nicht der erste seit damals, aber fast zehn Jahre sei es wohl her, seit er zum letzten Mal hier gewesen sei. Jetzt wohne er in München. Schon lange übrigens, schon seit der Wende.

„Allein?“, fragte Renate und warf ihm einen flüchtigen Blick zu.

„Ja, jetzt wieder. Und du?“

„Auch allein.“

Was hieß das? Hatte sie immer allein gelebt oder war sie, wie er selbst, verheiratet gewesen und lebte nun wieder allein? Kein Thema für die Straße. So etwas konnte er nur fragen, wenn sie sich eine Weile angeschaut hätten und bereit wären, sich zu öffnen und die getrennten Lebenswege, die sie seit Januar 1968 gegangen waren, einander zu beschreiben. „Ist es noch weit bis zu dir?“

„Nein, da vorn, das Jugendstilportal, da geht es hinein.“

Dann traten sie in einen mit hellen Fliesen ausgelegten, geräumigen Flur. Sogar einen Fahrstuhl hatte man bei der Renovierung dieses alten Hauses eingebaut, und darin fuhren sie jetzt in den vierten Stock. Renate zückte ihr Schlüsselbund. Hinter der Wohnungstür hörte man trippelnde, dann kratzende Geräusche und gleich darauf ein helles, dringendes Fiepen. „Das ist Liesel“, erklärte Renate und bückte sich, als sie die Tür geöffnet hatte, zu einem offenbar noch jungen, heftig sein Hinterteil hin- und herschwenkenden Rauhhaardackel. Zunächst begrüßte Liesel Renate, dann schnupperte sie an den Hosenbeinen des Besuchers. Als der sich bückte, um sie zu streicheln und leise beim Namen zu nennen, wiederholte sie ihren Begrüßungstanz, wenn auch in etwas abgeschwächter Form und nicht so anhaltend wie zuvor. „Liesel ist erst seit ein paar Monaten bei mir“, erklärte Renate und streckte ihre Arme aus, um Hans seinen Mantel abzunehmen. „Ich muss schnell mit ihr raus, du kannst es dir inzwischen gemütlich machen.“ Sie stieß eine Tür auf, die von der geräumigen Diele in ein großes Wohnzimmer führte, in dem einige Möbel standen, die Delius bekannt  vorkamen. Ein Biedermeier-Sekretär, ein paar schwere Sessel, die neu aussahen, aber mit dem gleichen weinroten Samtstoff bespannt waren, an den er sich erinnerte. „Hier, setz dich oder schau aus dem Fenster in den Minipark. Da müssen wir jetzt hin.“

Die kleine Hündin schien den Hinweis verstanden zu haben, denn sie rannte durch die offene Tür hinaus auf die Diele, um an der Wohnungstür zu kratzen.

„Sie hat es eilig“, Renate lief hinterher. Er hörte, wie sie den Hund an die Leine legte, und dann war es mit einem Mal ganz still. Delius sah auf die Uhr. Keine halbe Stunde war vergangen, seit er sein Hotel verlassen hatte, um über den Kurfürstendamm zu schlendern. Er setzte sich in einen der weinroten Sessel, ließ die Blicke durch den großen Raum wandern, der selbst im trüben Novemberlicht nicht dunkel wirkte. Trotzdem: Wenn er die Bilder an den Wänden genauer ansehen wollte, würde er zusätzliches Licht brauchen. Er stand auf und betätigte einen weißen Kippschalter neben der Zimmertür. An der Decke flammten die Lichter  eines kleinen  Kronleuchters auf. Jetzt erkannte er einige der Bilder. Die Kopie eines Rubens, ein blond gelocktes Kind, das einen auf seinem gebogenen Zeigefinger sitzenden kleinen Vogel betrachtet, daneben ein Bild von Spitzweg, von dem immer behauptet worden war, dass es echt sei. Delius erinnerte sich, dass ihm der alte Wilms, Renates Vater, versichert hatte, dies sei eine dritte Fassung des  armen Poeten. Neben dem aus der Nationalgalerie in Berlin geraubten Werk und dem in der Neuen Pinakothek in München zu besichtigenden Bild hätte es noch eine dritte Version dieses Themas gegeben, und die sei durch einen Münchner Kunsthändler an ihn gelangt. Auch die übrigen Bilder glaubte Delius wiederzuerkennen. Eine Rubens nachempfundene Gewitterlandschaft aus dem 19. Jahrhundert und eine Felseninsel von Arnold Böcklin, vielleicht eine Vorstudie zu der berühmteren Toteninsel, vermutete er. Teure Bilder, aber nichts Neues. Das übliche bürgerliche Wohnzimmerrepertoire aus dem 19. Jahrhundert. Kein moderner Künstler, nicht einmal ein Vertreter der Sezessionsbewegungen in Berlin oder München. Dazu die einem goldenen Stoff nachgebildete Tapete, vielleicht Damast, mutmaßte Delius, figürliches Prozellan aus Meißen oder Berlin, auf einem Sockel die imponierende Büste des Preußenkönigs. Renate musste alle diese Gegenstände aus dem Haus ihrer Eltern übernommen haben. Wenigstens hier, in diesem Zimmer, hatte sie keinen Platz für etwas Eigenes gefunden. Lebte sie immer noch in den Kulissen ihrer Kindheit? Er erinnerte sich an die erhitzten Diskussionen, die es früher zwischen ihnen über Architektur oder Fragen der Inneneinrichtung gegeben hatte. So schön er einige der Bilder und Möbel im Haus der Wilms gefunden hatte, so wollte er sie auch mit modernen Gegenständen konfrontieren, wollte Altes aus seiner eigenen Zeit heraus sehen und beurteilen, während Renate immer einen dekorativ-historisierenden Stil vertreten hatte, in dem für neuzeitliche Möbel, Teppiche oder Bilder kein Platz war. Daran hatte sich offenbar nichts geändert, musste er sich nach diesem ersten Eindruck sagen. Erst jetzt wurde ihm die Entfernung bewusst, die zwischen dem ‚Jetzt’ und dem ‚Damals’ lag. Was war alles geschehen, wieviele Gesichter, Landschaften, Räume, Worte, Begegnungen hatte es seither gegeben? Hatte er das, was ihn jetzt umgab, dieses Stillstandsmobiliar, diese gepflegte Leere, diese unverbindliche Ästhetik, nicht längst aus den Augen verloren? Und mit einem Mal war diese Welt wieder gegenwärtig.

Von der Wohnungstür drangen Geräusche zu ihm. Dann kam Liesel angerannt, um ihn ein zweites Mal zu beschnuppern und danach überschwänglich zu begrüßen. Hinter ihr kam Renate, die ihren Mantel bereits in der Garderobe gelassen hatte. Sie trug einen dunkelblauen Rock und eine weiße Bluse, deren Kragen sie aufgestellt hatte, als müsse sie sich vor Zugluft schützen. Auch diese Eigenheit, immer als eine Marotte empfunden, kannte er von früher. Auch hier hatte sich nichts geändert.

„Willst du einen Tee?“, fragte Renate.

Er schüttelte den Kopf. Renate setzte sich auf das neben seinem Sessel stehende Sofa und klopfte mit der flachen Hand auf den Platz neben sich. „Komm, setz dich zu mir.“ Er folgte ihrer Aufforderung mit der gleichen Bereitwilligkeit, mit der er vor einer halben Stunde die Einladung in diese Wohnung angenommen hatte. Falle ich gleich wieder in die alten Schemata?, fragte er sich, aber das blieb nur ein flüchtiger Gedanke. Er legte seinen rechten Arm auf die Lehne des Sofas, Renate ergriff seine linke Hand, umfasste sie mit beiden Händen und legte sie auf ihren Schoß. Wieder spürte er durch die Stofflagen, die sie trennten, die Wärme ihres Körpers.

„Ich habe mich eben ein wenig umgesehen“, sagte er. Sie schwieg, drückte nur seine Hand und wandte ihm schließlich ihr Gesicht zu. Sie war so nahe, er konnte nicht anders, als sie auf den Mund zu küssen.  Am Druck ihrer Hände spürte er ihr Einverständnis. „Hans“, sagte sie leise, „es ist nicht zu fassen.“

Er lächelte etwas befangen. „Zufälle“, sagte er, „es gibt sie wirklich.“

Renate hatte plötzlich Tränen in den Augen, ließ seine Hand los und fand in ihren Rocktaschen kein Taschentuch. „Hast du eins?“, flüsterte sie. Er nickte und fasste in seine Jackentasche. „Schön ist es nicht.“

„Aber es erfüllt seinen Zweck“, sagte Renate und trocknete damit ihr Gesicht.

„Entschuldige, Hans. Aber das war so …“

„Wie?“

„… das war so überwältigend. Ich hatte es mir so gewünscht, dich wiederzusehen.“ Ein neuer Tränenschwall. „Und in einem Augenblick, in dem ich überhaupt nicht daran gedacht habe, passiert es.“

Sie gab ihm sein Taschentuch zurück. Dann stand sie auf: „Komm, ich zeige dir die Wohnung.“

„Wie lange hast du sie schon?“

„Ach, wie lange …“ Sie zog ihn an der Hand in die Mitte des Zimmers. „Bald, nachdem meine Eltern gestorben waren, habe ich sie gekauft.“

„Und wann war das?“

„Neunzehnhundertdreiundsiebzig. Mein Vater starb einundsiebzig und meine Mutter ein Jahr später. Damit wurde das Haus in Dahlem überflüssig. Für mich war es viel zu groß, und selbst Andreas, der damals immerhin schon verheiratet war und einen Sohn hatte, wollte es nicht. Zu groß, zu umständlich, dazu teuer im Unterhalt, außerdem mussten wir eine hohe Steuer zahlen, um darüber verfügen zu können.“

Renate öffnete eine Verbindungstür, die in einen Nachbarraum führte. „Ein Esszimmer“, sagte sie. „Erkennst du die Möbel?“

„Nicht nur das, ich fühle mich hier wie in Dahlem“, antwortete Delius. „Der Raum ist eurem alten Esszimmer wie aus dem Gesicht geschnitten: die Tapete, die Möbel, der Teppich, selbst die Stilleben an den Wänden und die Kristallschale auf der Kredenz.“ Er fand diese Ähnlichkeit fast beängstigend. Immerhin war dies nicht das Dahlemer Haus, sondern ein Mietshaus in Charlottenburg. Es musste einiges an Mühe gekostet haben, um diese Ähnlichkeit herzustellen.

Sie gingen weiter. Wieder durch eine Verbindungstür in ein drittes Zimmer, in dem ein Flügel stand. „Der Steinway von damals?“, fragte Delius.

„Auf dem du früher auch gespielt hast“, bestätigte Renate. Sie öffnete das Instrument, setzte sich auf den Klavierschemel und schlug ein paar Akkorde an. Liesel, die ihnen bisher gefolgt war, blieb jetzt stehen, schüttelte sich, als Renate keine Anstalten machte, wieder aufzuhören, so energisch, dass ihre Ohren ein lautes klatschendes Geräusch erzeugten und verließ das Musikzimmer.

„Spiel du“, schlug Renate vor und stand auf. Wieder ließ sich Delius nicht lange bitten. Immerhin schickte er seinem eigenen Spiel einige entschuldigende Sätze voraus. Er habe seit Monaten kein Klavier mehr angerührt, seine Finger seien steif, und sein Gehör habe gelitten. Aber dann klang es doch ganz gut, was er den Tasten entlockte: ein paar Takte Gershwin, Cole Porter … dann ‚Somewhere there’s music, how high the moon’ oder ‚I dream of you, you make me cry“ …  ja, das hatte er noch in den Fingern, und über diese Themen konnte er auch noch ein wenig improvisieren, so überzeugend immerhin, dass Renate hinter ihn trat, beide Hände auf seine Schultern legte und ihre rechte Wange an sein Gesicht schmiegte. „Das hast du nicht vergessen“, sagte sie leise, als er zu Ende gespielt und die Hände von den Tasten genommen hatte. Er wollte auf diesen Ton nicht eingehen. Sein Besuch sollte nicht zu einer sentimentalen Beschwörung längst vergangener Zeiten geraten.

„Den Flügel musst du bald mal stimmen lassen“, sagte er, aber Renate war noch nicht bereit, sich von ihren amorösen Erinnerungen zu lösen. „Night and day“ bat sie, und Delius versuchte, den monotonen Beginn zu finden, der auf sehr suggestive Weise das Vergehen von Zeit simuliert, dehnte dieses Vorspiel aus, um dann in die Melodie überzugehen. „Night and day, you are the one“, sang Renate, die sich aufgerichtet hatte, aber immer noch hinter ihm stand und ihre Hände auf seinen Schultern ruhen ließ. „I dream of you night and day“. Die letzten hohen Töne erwischte sie nicht, was sie mit einem leisen Lachen quittierte. Delius stand auf, ließ den Flügel aber offen.

„Wie war das damals mit deinen Eltern?“

Renate hätte es vorgezogen, weiter in musikalischen Erinnerungen zu schwelgen, warum fragte er nur so direkt? Er spürte ihre Enttäuschung. „Entschuldige, Renate, ich wollte nicht taktlos sein …“

Sie lenkte sofort ein.

„Nein, nein, das kannst du ja nicht wissen. Neunzehnunderteinundsiebzig, im Spätsommer, hatte mein Vater einen Schlaganfall, von dem er sich zunächst erholte. Aber dann Ende des Jahres hatte er einen Rückfall und starb. Und unsere Mutter folgte ihm ein Jahr später.“

„Was war die Ursache?“

„Brustkrebs. Neunzehnhundertundsiebzig entdeckt und gleich operiert, aber nicht früh genug. Sie starb an den Metastasen.“ Renate gab sehr knappe Auskünfte, vielleicht sprach sie nicht gern über dieses Thema.

„Und das Unternehmen? Ist Andreas jetzt am Ruder?“

„Hast du das nicht gelesen?“

Delius war ans Fenster getreten und schaute hinunter in den kleinen Park, den Renate vorhin mit Liesel besucht hatte.Er schüttelte den Kopf. „Nein, wie sollte ich. In den USA nimmt man von solchen Ereignissen in Deutschland  keine Notiz.“

„Wir haben die Firma verkauft, Andreas und ich.“

„Warum?“, wunderte sich Delius, der sich daran erinnerte, dass der alte Wilms mit seinen Waffenexporten in den Nahen Osten, nach Südafrika, nach Argentinien oder in andere Spannungsgebiete viel Geld verdient hatte. „Lief es nicht mehr so gut?“

„Doch, doch. Aber Andreas, der sich noch eine Zeit lang um das Geschäft gekümmert hatte, bekam Schwierigkeiten mit unserer Regierung. Es gibt ein Gesetz, schon damals war es in Kraft, das den Export von Waffen aus der Bundesrepublik in Spannungsgebiete verbietet. Damit kam er nicht zurecht. Immer wieder gab es Beanstandungen aus Bonn. Irgendwann wollte er mit Waffenhandel überhaupt nichts mehr zu tun haben, also fing er an, Maschinen zu exportieren, meistens landwirtschaftliches Gerät. Aber das war Neuland für ihn, die Verkäufe stagnierten, die Firma kam nicht vom Fleck. Schließlich bekamen wir ein sehr gutes Angebot von einem großen Handelsunternehmen – und das war’s dann.“

„Ein Sinneswandel?“

„Ja und nein.“ Renate bestand darauf, dass das Waffengeschäft bereits ihrem Vater moralische Skrupel bereitet hätte. Davon hatte Delius nie etwas bemerkt.

Seiner Erinnerung nach war Wilms, der schon im Dritten Reich mit Waffen gehandelt hatte, ein kühl kalkulierender und von ethischen Bedenken weitgehend freier Geschäftsmann gewesen. Aber Renate wusste es anders. „Davon hast du nie etwas gemerkt. Nach außen hin war Vater immer sehr selbstsicher, konsequent und erfolgsorientiert.“

„Wohl auch opportunistisch“, fügte Delius hinzu.

„Vielleicht. Das sind wohl alle Geschäftsleute in einem gewissen Maße. Aber wir in der engeren Familie kannten natürlich seine Zweifel und wussten von seinem Wunsch, das Geschäft anders aufzuziehen. Na ja, und Andreas hat das dann schließlich getan.“

Renate trat zu Delius ans Fenster, streckte ihre Hände aus und führte ihn aus dem Musikzimmer hinaus in die Diele und in eine geräumige und gemütliche Wohnküche. „Ich mach uns jetzt einen Kaffee“, verkündete sie und füllte frisches Wasser in eine Kaffeemaschine.

„Was macht Andreas jetzt?“, erkundigte sich Delius.

„Er ist Beamter, Unterstaatssekretär für Osteuropa im Wirtschaftsministerium. Frag mich nicht nach Einzelheiten, ich verstehe nichts von solchen Dingen.“ Renate stellte Kaffeegeschirr auf den Küchentisch und füllte den frisch gebrühten Kaffee in die Tassen. Sie setzten sich, auch Liesel erschien plötzlich wieder. Die Gefahr von weiteren musikalischen Darbietungen schien ja fürs Erste gebannt zu sein.

„Und du?“, fragte Delius, als sie sich gegenübersaßen. „Was hast du mit deinem Leben gemacht? Weißt du“, fuhr er fort, als Renate nicht gleich antwortete, „diese Wohnung erinnert mich sehr an euer Haus in Dahlem. Nicht nur wegen der Porzellanfiguren, der Bilder oder auch des Flügels mitten im Musikzimmer, nein, ich meine auch den Schnitt der Zimmer, die Farben, die Stellung der Möbel zueinander, … die ganze Atmosphäre eben. Ist dir das eigentlich bewusst geworden?“

Renate sah ihn an. Etwas erstaunt und fast schon unwillig. „Natürlich ist mir das bewusst. So etwas passiert ja nicht von allein. Ich wollte das so. Ich wollte eine vertraute Umgebung, dieselben Gegenstände, Proportionen, Farben, die ich schon als Kind kannte. Das Altgewohnte, Hans, das Liebgewordene.“ Sie lachte amüsiert und auch ein wenig spöttisch. „Aber es ist schön, dass du das bemerkst.“

„Und du?“, fragte Delius.

„Was meinst du?“

„Ich meine dich, Renate. Wo bist du?“

Wieder lachte sie, aber dieses Mal klang es unsicher. Sie rettete sich aus der momentanen Verlegenheit, indem sie ihm eine Hand  über den Tisch entgegenstreckte. „Ich sitze dir gegenüber und freue mich, dass du da bist.“

Er nahm ihre Hand, schwieg aber.

„Ich  kann es immer noch nicht fassen“, sagte Renate.

Er barg ihre Hand in seinen beiden Händen und führte sie an seine Lippen. „Mir geht es genauso.“

„Aber?“

„Nichts aber.“ Delius legte  ihre Hand zurück auf den Tisch.

„Du wolltest etwas sagen?“

„Ich fühle mich so sehr an euer Haus in Dahlem erinnert, weil … na, das habe ich ja eben schon gesagt. Aber diese Zimmer. Das sind, jedenfalls in meinen Augen und in meiner Erinnerung …“

„Immer noch meine Eltern?“

„Ja, genau das wollte ich sagen.“ Es klang etwas verlegen.

Renate lächelte ratlos. „Ich sagte doch, ich wollte es wieder genauso haben, wie früher, nur etwas kleiner und ohne die Umtriebe, die ein Haus macht. Und das habe ich bekommen.“

Er nickte. „Und beruflich?“, fragte er, „was hast du da gemacht?“

„Ich war im Hotelgewerbe und habe zuletzt eines der großen Berliner Hotels geführt.“

„Welches?“

Sie nannte ihm einen Namen. „Du staunst?“

„Du hattest früher künstlerische Neigungen. Inneneinrichtungen, Dekorationen.“

„Und das konnte ich in meinem Beruf sehr gut gebrauchen.“

„Und jetzt?“

Sie strahlte. „Jetzt freue ich mich. Unbeschreiblich.“

Ihr Lächeln war immer noch ansteckend und dabei herzerwärmend. Das mussten andere doch auch so gesehen haben, dachte Delius. Mit so einem Lächeln bleibt man doch nicht allein. „Warst du nie einsam?“

Renates Gesichtsausdruck trübte sich ein. „Ich hatte immer Gesellschaft, im Beruf und auch privat. Viele meiner alten Freunde kennst du wahrscheinlich noch. Unsere Freundschaften gehen lange zurück. Aber du meinst etwas anderes?“

Delius merkte am Klang ihrer Stimme, dass sie sich einem heiklen Gebiet näherten, über das sie vielleicht nur ungern Auskunft gab. Trotzdem stimmte er zu. „Ja, ich wüsste gern, wer nach mir kam. Hast du dir nicht wieder einen Mann gewünscht?“

„Ja natürlich.“ Renate zog ihre Hand zurück und schenkte ihm frischen Kaffee ein. „Und ich hatte auch immer mal wieder jemanden – in der Hotelbranche muss man sich gar nicht besonders anstrengen, es passiert fast von allein.“

„Aber geheiratet hast du nie.“

„Warum sollte ich? Das hätte doch nur Sinn gehabt, wenn ich …“

„Was?“

„Wenn ich einen wirklich geliebt hätte. Wie dich damals. Dann hätte ich auch Kinder gewollt.“

„Und das war nie der Fall?“

Sie schüttelte den Kopf. Es schien ihm, als wolle sie mit dieser Bewegung das Thema beenden, aber dann sagte sie unvermittelt: „Einmal doch. Ich glaubte es jedenfalls, und ich wurde auch schwanger.“

Also doch, dachte Delius und musste sich eingestehen, dass ihn diese Nachricht verstimmte. Ja, sie berührte ihn so, dass er seine Fragerei unterbrach und vor sich hinstarrte. Renate bemerkte die Veränderung nicht. Sie war mit der eigenen Erinnerung beschäftigt und sprach weiter: „Es war eine Tubenschwangerschaft, die nicht rechtzeitig erkannt wurde. Ich war eine Zeit lang sehr krank, bekam eine Bauchfellentzündung und wäre fast draufgegangen.“

„Und?“

„Schließlich kam ich in die Hände eines tüchtigen Gynäkologen, der mich operiert hat, und nach einigen Wochen ging es mir wieder gut.“

Delius hatte seine Verstimmung überwunden. „Und der Vater, der Mann?“, fragte er. „Ihr hättet es ja noch einmal probieren können.“

„Eben nicht.“

Delius wollte nun nicht weiter fragen, dieses „eben nicht“ genügte ihm eigentlich. Seine Teilnahme galt ausschließlich Renate. Der Mann, der ihr diese Schwierigkeiten gebracht hatte, interessierte ihn eigentlich nur am Rande. Renate aber wollte die Geschichte zu Ende bringen und erzählte weiter:

„Durch die Operation habe ich einen Eileiter verloren. Es stellte sich heraus, dass ich nur den einen hatte. Der andere war gar nicht richtig angelegt. Ein Geburtsfehler sozusagen.“ Sie lächelte traurig. „Von da an brauchte ich mir über Schwangerschaften keine Gedanken mehr zu machen.“

„Manche Leute empfinden diesen Zustand eher als Bereicherung“, sagte er, aber als er sah, dass ihr Gesicht sich bei diesen Worten verdunkelte, reichte er ihr eine Hand über den Tisch.

„Entschuldige. Eine dumme Bemerkung.“

Sie ergriff seine Hand mechanisch, so, als stellte sie eine momentan abgebrochene Verbindung wieder her, und erzählte weiter, ohne ihren Tonfall zu ändern. „Ja, und das war auch das Ende dieser Beziehung. Alfred, so hieß er, war ein lieber Kerl mit zum Teil sehr konservativen Ansichten.  Eine große Familie mit vielen Kindern war sein wichtigstes Lebensziel. Einmal hat er gesagt, wir müssten Deutschland wieder zum Kinderreichtum der Vorkriegszeit verhelfen. Kinder waren sein Lebensziel, so wie andere Brücken bauen wollen oder von großen Erfindungen träumen. Als er begriff, dass er dieses Lebensziel mit mir nicht erreichen würde, hat er mich gebeten, ihn ziehen zu lassen.”

„Habt ihr noch Verbindung miteinander?“, fragte Delius. Eine Routinefrage. Was er über diesen Alfred gehört hatte, hatte ihm diesen Menschen bereits verleidet.

Aber Renates Gesicht hellte sich auf. „Bis vor einigen Jahren schickte er mir regelmäßig Glückwünsche zu meinem Geburtstag. Früher kamen in größeren Abständen auch Geburtsanzeigen, mit denen er die Fortschritte ankündigte, die er inzwischen auf dem Wege zu einer großen Familie gemacht hatte.“

„Wieviele?“, fragte Delius, nun doch interessiert.

„Sechs glaube ich, aber genau weiß ich es nicht mehr. Immerhin plagten ihn wohl Gewissensbisse.“

„Du meinst …“

„Ja, wenn er mich schon verlassen hat, weil ich ihm keine Kinder schenken konnte, dann wollte er wenigstens zeigen, dass …“

„Dass eure Trennung nicht umsonst war?“

„So etwa“, lächelte Renate und wurde gleich wieder ernst. „Jedenfalls war mir die Liebe nach dieser Affäre verleidet, wie du dir denken kannst. Es ist mir nicht schwer gefallen, mich auf meinen Beruf zu konzentrieren. Ich kam schnell voran und fühlte mich als Karrierefrau auch ganz wohl. Also keine Affären mehr, dafür viel Arbeit, Bekanntschaften, die sich meistens auch um den Beruf drehten. Beansprucht werden, ja, das habe ich genossen. Das Gefühl, dass andere mich brauchen.“

Sie schenkte Delius einen prüfenden Blick, als wolle sie erforschen, ob er diese Art von Genugtuung in seinem Leben ebenfalls erfahren hätte. Er erwiderte den Blick, äußerte sich aber nicht.

„Und Erinnerungen“, sagte Renate. „Aber dass Erinnerungen noch einmal so lebendig werden können, das hätte ich nie gedacht.“ Sie sah ihn an, während sich auf ihrem schönen Gesicht eine Mischung aus Verwunderung und Entzücken abbildete. „Nie“, sagte sie noch einmal zur Bekräftigung.

Die Emphase, mit der Renate diesen letzten Satz gesprochen hatte, war ihm fast unangenehm, weil seine eigenen Empfindungen in ruhigeren Bahnen verliefen.

Zum Glück wurde Liesel, die unter dem Küchentisch gelegen hatte, an dieser Stelle wach und beanspruchte Zuwendung, bevor sie ihre Ruhe fortsetzte.

„Und wie ist es dir ergangen?“, fragte Renate nach dieser Pause.

„Ja, wie“, sinnierte Delius und fing dann an zu erzählen, zuerst stockend, dann lebendiger und in rasch aufeinanderfolgenden Sätzen. Von seinem Aufenthalt in England erzählte er, von der Universität in Bristol, an der ihn ein junger Professor in die Geheimnisse der molekularen Mikrobiologie eingeführt hatte. Dann von seinem Sprung über den Atlantik nach New York an die Columbia Universität, wo er auch wieder klinisch gearbeitet hatte. „Ich hatte viel nachzuholen in diesen ersten Jahren“, erzählte er und sah Renate dabei an, als wollte er schon im Voraus Abbitte leisten für alles Kritische und Negative, was jetzt kommen sollte. „Nach der deutschen Enge, der Bürokratie in der Berliner Klinik und den eher dürftigen Arbeitsbedingungen, die kaum Zeit für die Wissenschaft ließen, von den räumlichen und apparativen Voraussetzungen ganz zu schweigen, kam mir bereits Bristol wie eine Befreiung vor. Danach war Columbia noch einmal eine Steigerung.“

Er erwähnte seine Klinik in München, die ihm heute beides erlaubte, klinisches und wissenschaftliches Arbeiten, kehrte dann aber wieder zu seinen früheren Erfahrungen in Deutschland zurück. Von der damals weit verbreiteten  Wissenschaftsfeindlichkeit sprach er, von der vergrübelten Neinsagerei zu neuen wissenschaftlichen Entwicklungen, zur Gentechnik zum Beispiel. Er bemängelte die kleingärtnerische Verbissenheit und die Vergangenheitssucht der Älteren und die Unbeweglichkeit und Beschränktheit vieler Jüngerer.

„Ich kam mir vor, wie in einem Gefängnis“, fasste  Delius seine  Erinnerungen an die fünfziger Jahre zusammen. Renate wollte seine Aussage so allgemein nicht gelten  lassen und fragte ihn: „Du hast dich bei mir eingeengt gefühlt, nicht?“

Sie waren nun wirklich bei einem heiklen Thema angekommen, und deshalb wich Delius zunächst aus. „Weniger bei dir als in dem Haus deiner Eltern, in dem du ja damals noch wohntest.“

Das war keine eindeutige Antwort. Aber was half’s, er musste heraus mit seiner Wahrheit. „Ja, das stimmt.“ Er lächelte resigniert. „Stell dir doch vor, wie das aus meiner Sicht wirkte: Ein autoritärer Vater, der angesichts seines Erfolges nicht einsehen wollte, dass seine Augsburger Firma etwas Verwerfliches, zumindest Fragwürdiges tat, wenn sie die Israelis und die Palästinenser gleichzeitig mit Waffen belieferte, eine Mutter, die immer noch an eine internationale Verschwörung der Juden, Freimaurer und Jesuiten glaubte und …“ Er unterbrach sich, bevor er weitersprach. „Eine Tochter, die um des lieben Friedens oder um der häuslichen Ordnung, vielleicht aber auch nur um der Bequemlichkeit willen so tat, als sei das alles so in Ordnung.“

In eine längere Pause hinein fragte Renate mit Verwunderung in der Stimme:

„War das wirklich so?“

Delius lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, sah sie aber nicht an, als er leise weitersprach. „Ja, Renate, das war so, und es hat mich gequält.“ Er starrte vor sich auf den Tisch und hob nur  für kurze Augenblicke den Kopf. „Ich liebte dich, und ich brauchte dich auch, weil ich ja selbst kein Zuhause mehr hatte, meine Eltern lebten ja nicht mehr. Aber immer stärker spürte ich, dass ich dieses Milieu, in dem du dich so wohl und geborgen fühltest, auf die Dauer nicht ertragen würde. Und eines Tages waren mein Widerwille und mein Abscheu größer als mein Wunsch, dich zu behalten. Du erinnerst dich, dass ich einige Male angeregt habe, dass wir zusammenziehen, um für uns zu sein. Andere haben das ja auch getan und es schließlich auch geschafft.“

Wieder entstand eine Pause. „Aber das wolltest du nicht. Die beiden Alten würden das nicht verstehen, hast du gesagt und dabei auf Andreas verwiesen, der damals bereits von zu Hause wegstrebte. ‚Das kann ich den Eltern nicht antun’, hast du gemeint. Also habe ich weitergemacht, bis ich eines Tages nicht mehr konnte.“

„Geduld war nie deine starke Seite“, sagte Renate, aber es lag kein Vorwurf in ihrer Stimme. Jetzt richtete Delius sich auf und sah sie an. „Oh doch, Renate, damals hatte ich unendlich viel Geduld – so kam es mir jedenfalls vor. Aber lass mich die Frage umdrehen: Hattest du nicht zuviel Geduld? Du hast einfach abgewartet.“

Renate nickte. „Das habe ich, ja. Weil ich damals schon wusste, dass sich die Probleme, die du eben geschildert hast, von allein lösen. Die Eltern werden alt, verlieren an Einfluss, eines Tages sterben sie; in deinem Fall geschah das sechs  oder sieben Jahre, nachdem du gegangen warst, und mit einem Mal ist ein Konflikt, den du für unüberwindbar gehalten hast, gegenstandslos geworden.“

„Sechs oder sieben Jahre sind eine lange Zeit für junge Leute, die ihr Glück machen wollen. Außerdem geht es nicht darum, dass Konflikte sich von alleine lösen, sozusagen durch Autolyse.“

„Worum geht es denn?“

„Darum, dass man etwas aktiv überwindet, dass man begangene Fehler eingesteht und sich ändert, darum, dass man etwas Altes, Abgelebtes, das sich als falsch erwiesen hat, hinter sich lässt.“

„So warst du immer.“ Renate sagte es mit einem Ton, in dem sich Belustigung und Zuneigung die Waage hielten. „Diese aktive Überwindung ist doch nur in wenigen Fällen wirksam.“

Sie stand auf, ging zum Küchenschrank und füllte Gebäck in eine Schale, die sie auf den Tisch stellte. Sie setzte sich wieder. „Schau dich doch um in unserer Gesellschaft, in unserem Land, Hans. Wodurch ist denn diese zivile Atmosphäre entstanden, die unsere Welt so von der Welt unserer Eltern und Großeltern unterscheidet. Durch aktive Überwindung? Durch das Eingestehen von Fehlern?“

Delius antwortete nicht, sondern griff nach einem Schokoladenkeks.

„Ich will dir sagen, wodurch“, fuhr Renate fort. „Durch Gewohnheit. Die Alten, die sich nicht mehr umgewöhnen konnten, sind tot, und die Jüngeren haben die neuen Regeln gelernt und befolgen sie, weil es ihnen ganz gut dabei geht. Und die ganz Jungen wissen gar nicht, dass die Welt einmal ganz anders funktionierte als heute.“

Sie hielt einen Augenblick inne, während Delius kaute und sich einen neuen Keks nahm. „Ich nehme mich selbst nicht aus, Hans“, sagte Renate. „Ich habe auch umgelernt. Meine Eltern sind nie zu einer Wahl gegangen, weil sie fest davon überzeugt waren, dass alles nur ein abgekartetes Spiel wäre. Am Ende würden immer dieselben Leute gewinnen. Wir, Andreas und ich, sind diesem Beispiel lange gefolgt, bis der Einfluss der älteren Generation nachließ, wir selbst im Beruf standen, andere Meinungen hörten und Erfahrungen sammelten, die nicht zu dem passten, was wir zu Hause gehört hatten. Und dann haben wir uns angepasst. Schlicht und einfach. Umgewöhnt haben wir uns, das war das ganze Geheimnis. Und das geht immer so weiter, überall, nicht nur bei uns.“

Sie ist noch wie damals, dachte Delius. Sie orientiert sich an dem, was gerade ist, was nahe liegt, nicht an dem, was sein sollte oder müsste und was vielleicht noch fernliegt. Allmählich würden vorhandene Markierungen durch neue ersetzt, aber das dauerte und dauerte … es nahm eben Zeit in Anspruch, viel Zeit. Also musste man abwarten.

„Aber woher kommen denn die neuen Vorbilder, Werte, Beispiele, an denen sich Menschen orientieren? Irgendwer muss doch einmal sagen: Hier geht’s lang, das sind die neuen Regeln, nach denen gespielt wird.“

Renate zuckte die Achseln. „Das weiß ich nicht, ist das überhaupt wichtig?“

Sie schaute ihn an, etwas geistesabwesend. „Es sind die Umstände, technische Veränderungen, demographische Verschiebungen … so nennt man das doch?“

„Nicht einzelne Menschen?“

Renate blickte ungläubig. Dann schüttelte sie den Kopf. „Das mag einem so vorkommen. Vielleicht steht es auch so in manchen Geschichtsbüchern, aber es stimmt nicht. Es kann nicht stimmen. Die großen Veränderungen sind die Summe von etwas, verstehst du? Die Summe von vielen Einzelvorgängen.“

„Und was ist mit den großen Erfindern oder Entdeckern, mit Robert Koch oder Thomas Edison zum Beispiel oder mit Politikern wie Thomas Jefferson?“

„Ach, Hans.“ Renate stand auf, stellte sich hinter Delius und legte ihm beide Hände auf die Schultern wie vorhin, als er am Klavier gesessen hatte. „Wenn Robert Koch den Tuberkuloseerreger nicht gefunden hätte, dann wäre ein anderer gekommen und hätte es getan. Und Edison. Was hat der entdeckt? Das Telefon, glaube ich, und die Glühbirne. Die Zeit war eben reif für so etwas. Und dein Thomas Jefferson. Meinst du, die USA wären ohne den nicht entstanden? Du willst, dass die Welt von einzelnen Personen gemacht wird. Nur so kannst du glauben, dass etwas in deinem Sinn verändert werden kann. Aber so ist es nicht. Du stehst immer gegen eine riesige Masse, gegen Stimmungen, die von  Millionen erzeugt und getragen werden. Der Einzelne kann da überhaupt nichts ausrichten. Du kannst nur versuchen, mit dem Leben davonzukommen. Und das ist schon schwer genug.“ Sie seufzte.

„Wie hältst du das aus?“, fragte Delius, nachdem er einen Moment geschwiegen hatte, „ein Leben, dem man sozusagen ausgeliefert ist.“

„Man versucht, sich ein sicheres Nest zu schaffen, und man nimmt sich in Acht.“

„Nicht auffallen?’

„Auf keinen Fall.“ Sie lachte. „Aber wie schaffst du es, von einem Ort zum nächsten zu ziehen, von Berlin nach London, dann nach New York, jetzt nach München und wer weiß, wo du noch überall warst. Diese Ruhelosigkeit, überall versuchen, etwas zu erreichen und womöglich zu ändern. Das ist doch viel schwerer als mein Abwarten.“

„Anstrengend ist es schon“, gab er zu, „aber man bekommt auch etwas für die Anstrengung.“

„Was?“

„Du kriegst eine Idee von der Vielfalt der Welt, von der Unterschiedlichkeit der Lebensweisen und Ansichten.“

Renate ließ es dabei bewenden. Sie zog ihn von seinem Stuhl und umschlang seinen Hals. „Jetzt drück mich mal ganz fest, damit ich weiß, dass du auch wirklich da bist, und dann erzählst du mir von deinem aufregenden Leben.“

Er tat, was sie wollte, spürte ihren Körper an seinem eigenen und wunderte sich über ein Gefühl der Fremdheit, das ihn dabei beschlich. Das war nicht mehr die schlanke und biegsame Gestalt, an die er sich erinnerte. Noch während er sie umarmte, dachte er an andere Frauen, die er so gehalten und an sich gedrückt  hatte, nachdem er aus Berlin weggegangen war. Irgendwie ist es doch immer dasselbe“, musste er sich sagen und überlegte, ob er ihr davon erzählen sollte. Aber da kam sie ihm schon zuvor. „Ich zeige dir den Rest der Wohnung, und dann setzen wir uns wieder nach drüben und du erzählst weiter von dir. Vierzig Jahre!“

Sie öffnete eine Tür, hinter die er noch nicht geblickt hatte. „Davon möchte ich gern mehr erfahren, als du bisher von dir gegeben hast“, sagte sie.

Sie traten in ihr Schlafzimmer, dessen Wände dunkelblau tapeziert und dessen Fußboden  mit einem Spannteppich in genau dem gleichen Farbton ausgelegt war, sodass der Raum wirkte wie eine samtige, dunkle Kapsel. Wenn Delius nach  Renates Erzählungen und Äußerungen schon den Eindruck von einer scheuen und defensiven Lebensführung erhalten hatte, dann bot der Anblick dieses Schlafzimmers eine überzeugende Anschauung für diesen Eindruck.

„Das Schlafzimmer als Fluchtort?“, fragte er und bemühte sich, nicht ironisch zu klingen. Aber Renate beantwortete seine Frage ganz arglos. „Ich brauche diese Dunkelheit, den sanften Farbton, das Abgeschlossensein. Die Welt bleibt draußen“, sagte sie und lächelte. Offenbar empfand sie keine Spur von Verlegenheit.

Sie gingen weiter. Auch das Gästezimmer war in dem Stil gehalten, den Renate aus dem Haus ihrer Eltern übernommen hatte. Schließlich saßen sie wieder auf dem Sofa im Wohnzimmer, nebeneinander, wie während der ersten halben Stunde seines Besuches.

„Und nun erzähl du“, drängte Renate. Er holte tief Luft und fing dann an, in kurzen, sehr allgemein gehaltenen Sätzen die Phasen seines Lebens zu skizzieren, von denen Renate keine Kenntnis haben konnte. Was er dabei über das Leben in Bristol oder New York, die Universitäten und Krankenhäuser in diesen Städten oder die unterschiedlichen Lebensweisen von sich gab, konnte Renate nicht wirklich interessieren. An kleinen Bewegungen spürte er ihre steigende Ungeduld, er wollte irgendwie zum Kern der Sache kommen, zu dem, was man den roten Faden oder den Sinn des Lebens nennt, aber er hatte Mühe, die Teile seiner Erzählung zu einem Bild zusammenzufügen, das ihr etwas sagte. Warum ist das so?, fragte er sich, während er stockend und in unbeholfenen Sätzen weitersprach. Warum rede ich so unzusammenhängend daher? Und plötzlich fiel ihm ein, dass er zum ersten Mal in seinem Leben versuchte, den Verlauf seines Lebens, das Schicksal seiner Hoffnungen und Befürchtungen offen und einigermaßen vollständig darzustellen. Nicht einmal vor sich selbst hatte er jemals zusammenhängend so etwas wie Rechenschaft abgelegt. Während dieser Gedanke sich in ihm ausbreitete, empfand Delius Scham und einen steigenden Widerwillen gegen sich selbst. Seine Erzählung geriet ins Stocken. Schließlich schwieg er und schüttelte aus Verwunderung über sein eigenes Versagen den Kopf. Er fühlte sich erschöpft, obwohl doch gar nichts geschehen war, was ihm zu einer solchen Reaktion Anlass gegeben hätte. Oder war doch etwas geschehen?

„Warst du verheiratet?“, fragte Renate.

Er nickte. „Ein paar Jahre lang.“

„Und?“

„Es funktionierte nicht“, antwortete Delius und überlegte wieder einmal, warum seine Ehe mit Jennifer Cooley, der Biologin aus Berkeley, nicht „funktioniert“ hatte.

„Sie war das genaue Gegenteil von dir“, sagte er und musste sich sofort fragen, ob dieser Satz zuträfe. „Nein, das stimmt nicht“, berichtigte er, „ich bin wohl ungenau. Siehst du, das ist meine Schwäche. Ich habe kein genaues Bild von meinem Leben. Vor allem betrifft das Menschen, Jennifer zum Beispiel. So hieß die Frau, von der ich dir erzählen wollte. Oder auch nicht erzählen wollte. Aber du hast mich gefragt. Also Jennifer war oder ist ein paar Jahre jünger als ich – drei Jahre genau, und sie ist nicht in allem genau das Gegenteil von dir. Im Aussehen zum Beispiel kommt sie dir nahe. Ihr angelsächsischer Name verbirgt ihre lateinische Abstammung, ihre Mutter war eine Peruanerin, aber eigentlich stammten ihre Vorfahren aus Italien, bis auf den Herrn Cooley, der irgendwann in die Familie eingeheiratet hat und seinen Namen beisteuerte. Im Wesen ist Jennifer anders als du. Sie ist impulsiv, wo du dich eher zurückhältst – oder abwartest.“

Er lächelte, als er den Druck ihrer Hand spürte. „Ihr Biologiestudium, das recht anstrengend war und viel Zeit beanspruchte, hat sie nicht davon abgehalten, die Vorlesungen von Herbert Marcuse zu hören und sich in der Studentenbewegung der späten sechziger Jahre besonders hervorzutun. Neugierig, erpicht auf Veränderungen, ruhelos, ungeduldig, so habe ich sie in Erinnerung behalten. In diesen Eigenschaften war sie wohl wirklich das Gegenteil von dir. Auch in ihrer Streitsucht … du bist ja eher friedfertig.“

Wieder freute er sich über einen anerkennenden Händedruck von Renate. „Jedenfalls fand ich bei ihr nie die Ruhe und den Ausgleich, die ich suchte. Besonders in New York hätte ich das brauchen können. Also, das passte einfach nicht zu mir, und als ich dann die Stelle in München bekam und Jennifer mich auf einer meiner Vorstellungsreisen begleitete, wurde zuerst ihr und dann auch mir klar, dass sie nie in München leben könnte. ‚Never ever’. Ich höre noch die emphatischen Ausrufe, mit denen sie meine gut gemeinten Aufforderungen quittierte, es doch wenigstens einmal zu versuchen. Jennifer fand, dass ihre Fähigkeit zur Anpassung an fremde Lebensweisen mit der Übersiedlung nach New York bereits überstrapaziert worden sei. München? Nein, das ginge auf keinen Fall. Sie sei schließlich keine Cinderella, die sich in dieser Märchenstadt wohlfühlen könnte. Demnächst würde ich ihr vielleicht einen Umzug zu Schneewittchen hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen empfehlen. Was denn mit mir los sei? Von ihr einmal abgesehen. Wie ich denn dazu käme, in einem so muffigen katholischen Kaff leben zu wollen.“

Delius schwieg. Dann fuhr er fort. „Jetzt weißt du, was ich meinte, als ich behauptete, sie sei das Gegenteil von dir. Sie lebt eigentlich immer nur in der Zukunft. Die Gegenwart war immer schon Vergangenheit und eigentlich reif, um in den Abfall geworfen zu werden. Wir haben uns über meinen Wunsch, wieder nach Europa zurückzukehren, heillos zerstritten.“

Er überlegte, noch immer nicht zufrieden mit seiner Schilderung. „Im Grunde aber ging es um etwas anderes.“

Renate hatte zuletzt aufmerksam zugehört. „Worum ging es denn?“, fragte sie.

„Jennie hatte fast anarchische Bedürfnisse. Ihre Vorstellung von Freiheit, worunter sie in erster Linie die Freiheit des persönlichen Ausdrucks empfand, kannte kaum Grenzen. Ständig geriet sie deshalb in Konflikte mit anderen Menschen, die sich nach Auseinandersetzungen mit ihr gekränkt zurückzogen. Sie liebte es, in Gesellschaft Eklats zu provozieren, aber wenn es dann still und einsam um sie wurde, beklagte sie sich über die Empfindlichkeit ihrer Zeitgenossen. Sie beanspruchte für sich den Umgang mit intelligenten Leuten, benahm sich zuweilen aber wie … wie ein Kutscher, nein, eben wie ein Kind der achtundsechziger  Bewegung. Den relativen Luxus, den sie bei mir genoss, nahm sie gern an. Das hinderte sie jedoch nicht daran, die Menschen, die im Stande sind, Luxus oder zumindest einen gewissen Lebenskomfort für sich und andere zu erzeugen, anzugreifen und ihre Lebensweise zu diskreditieren.“ Delius hielt inne, um zu sehen, wie Renate auf seine Schilderung reagierte. Die jedoch schien Mühe zu haben, sich diese Frau und ihre Beziehung zu Hans vorzustellen. „Ich verstehe“, sagte  sie, aber ihr Gesichtsausdruck schien eher von Zweifeln geprägt.

„Ich mochte Jennie“, versuchte Delius zu erklären, „aber irgendwie war ich vom Regen in die Traufe gekommen. Entschuldige“, fügte er schnell hinzu, als er bemerkte, dass Renate die Lippen schürzte, was bei ihr, das wusste er, ein Zeichen von Gekränktheit war. „Ich mochte sie und hatte doch wieder ein grundsätzliches Problem … so, wie ich es damals mit dir zu haben glaubte.“

Renate hatte sich wieder gefangen. „Vielleicht siehst du deine so genannten Probleme etwas verzerrt?“, fragte sie und rückte dabei näher an ihn heran.

„Vielleicht“, gab er zu. „Vielleicht fehlt mir einfach die Geduld, einen Konflikt auszusitzen oder auf einen Sinneswandel zu warten.“

Eine Weile blieb Renate still, dann fragte sie: „Kinder hattet ihr nicht?“

„Nein, wenigstens das ist uns erspart geblieben.“

Wieder entstand eine längere Pause. Sie hatten sich einander geöffnet, nicht in allen Einzelheiten, aber doch mit den wesentlichen Inhalten ihrer Lebensläufe. Und? Wie verglichen sich diese Geschichten mit dem, was sie einmal für ein gemeinsames Leben erhofft hatten?

„Was denkst du?“, fragte Delius schließlich.

Sie schüttelte den Kopf – ungläubig. Dafür?, dachte sie und sagte: „Wie schade.“
„Was meinst du?“  

„Deine Ungeduld. Wie schade, dass …“

„Ich weiß. Aber so ist es nun einmal gelaufen.“ Delius sah auf seine Uhr. „Es ist spät geworden. Für heute ist es genug. Sehen wir uns morgen wieder?“

Renate rückte ein kleines Stück von ihm weg, als habe sie etwas erschreckt. Ihre Hände griffen nach ihrer Frisur, zogen eine Spange aus dem hochgesteckten Haar und befestigten ein paar Strähnen, die sich gelöst hatten. Dann stand sie auf. Delius war überrascht von der Plötzlichkeit ihrer Reaktion. Habe ich sie gekränkt?, fragte er sich und erhob sich ebenfalls.

„Nein“, sagte Renate und setzte sich wieder. „Bleib noch einen Augenblick.“ Sie legte ihre linke Hand auf den Platz neben sich. „Ich habe mich so auf deine Geschichte konzentriert.“ Sie schien etwas verwirrt zu sein. „Ich muss morgen in die Klinik, eigentlich wollte ich Liesel heute ins Tierheim bringen. Es ist ganz in der Nähe. Mein Gott …“  Sie verbarg ihr Gesicht hinter beiden Händen.

Delius setzte sich und starrte sie an. „Was ist denn?“

Renate verharrte  einige Sekunden in der eingenommenen Haltung, dann ließ sie die Hände sinken, lehnte sich zurück und schloss die Augen.

„Ist dir schlecht?“, fragte Delius.

„Nein, entschuldige. Ich muss morgen früh in die Klinik zu einer Untersuchung. Wenn alles glatt geht, kann ich abends wieder nach Hause gehen.“ Sie schaute auf ihre Uhr. „Jetzt ist es zu spät, um Liesel noch ins Tierheim zu bringen.“

„Ich kann das doch morgen für dich erledigen“, sagte Delius. Renates plötzliche Sorge um ihren Hund kam ihm merkwürdig vor. „Was ist, wenn morgen nicht ‚alles glatt geht’, wie du dich ausgedrückt hast?“

„Dann müsste wohl ein Eingriff vorgenommen werden …“, antwortete Renate und tat so, als schüttele sie diesen Gedanken gleich wieder ab.

„Was für ein Eingriff?“

Sie überhörte die Frage. „Das wird nicht so sein, es geht wirklich nur um den einen Tag.“

„Wann musst du in der Klinik sein?“

„Gleich früh. Um acht Uhr muss ich aus dem Haus.“

„Ich könnte kurz vor acht hier sein und Liesel tagsüber ausführen.“

Sie überlegte einen Augenblick. „Ach ja, wenn du das tun könntest?“

Sie stand auf. Auch Delius erhob sich, froh, diese lange Unterhaltung zu beenden. Warum sagte ihm Renate nicht, was ihr fehlte? Fragen wollte er nicht, er fand, sie hätten genug miteinander gesprochen. Er würde sie ja wiedersehen, dann könnten sie ihr Gespräch fortsetzen.

Liesel kam herbeigewuselt. Sie ahnte, dass ihr ein neuerlicher später Ausgang ermöglicht wurde. Renate bestand darauf, Delius zu zeigen, wo sie Liesels Futter aufbewahrte und wo er sich selbst bedienen könne, wenn er morgen Appetit auf einen Imbiss oder eine Tasse Kaffee bekomme. Das alles dauerte noch ein paar Minuten, lange genug jedenfalls, um Liesel ungeduldig werden zu lassen. Sie trippelte unruhig hin und her, versuchte es zwischendurch mit einem kurzen japsenden Bellen und ging, als diese Äußerungen keine Beachtung fanden, dazu über, sich an Renates Beinen aufzurichten und mit ihren Vorderpfoten an ihrem Rock und an ihren Strümpfen zu kratzen. Renate versuchte, die zudringliche Dackelin abzuschütteln, aber das gelang ihr nur für Sekunden, dann fing Liesel wieder an zu bellen und startete neue Attacken auf ihre Herrin.

„Ich muss sie noch einmal auf die Straße führen“, erklärte Renate Delius, der seinen Mantel überstreifte und wartete, bis sie ihren Hund an die Leine gelegt hatte. Im Fahrstuhl standen sie schweigend nebeneinander, nur die Atemzüge der ständig an ihrer Leine zerrenden Dackelin waren zu hören.

Als sie auf die dunkle Fasanenstraße hinaustraten, ergriff Delius Renates Arm und drückte ihn zum Abschied. „Du hast mir gar nicht erzählt, was du morgen über dich ergehen lassen musst“, sagte er, „aber das hat ja wohl noch Zeit.“

Renate überhörte auch diese Bemerkung, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange. „Also bis morgen? Ich gehe da lang.“ Sie zeigte in die Richtung, die der seinen entgegengesetzt war. „Du kannst Liesel ruhig ein paar Stunden allein lassen, wenn du für morgen Pläne hast.“ Sie ging ein paar Schritte. „Und danke“, rief sie ihm dann noch zu. Er winkte noch einmal und wandte sich ab.  Sein Hotel lag nur zweihundert Meter weit entfernt. Irgendwie fühlte er sich erleichtert, nachdem sie sich getrennt hatten, und so unternahm er noch einen kurzen Spaziergang auf dem Kurfürstendamm, ehe er sein Hotelzimmer aufsuchte und den Weckdienst bat,  ihn morgen um sieben Uhr früh anzurufen.

Warum diese Erleichterung, fragte er sich, als er in seinem Bett lag und auf das Einschlafen wartete. Aber dann dachte er weiter: Warum frage ich, wenn ich die Antwort doch weiß. Ich wollte sie nicht wiedersehen, weil ich mir nicht vorstellen konnte, wie wir den Schutt unserer gemeinsamen Jahre beiseite räumen könnten. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass wir im Stande sein würden, unsere Fehler einzusehen und danach auszuloten, was uns tief im Inneren miteinander verband und vielleicht immer noch verbindet. Andererseits: Wenn Renate ihre Unselbstständigkeit von damals einsähe, wenn sie begriffe, dass sie zu faul und zu bequem war, um Verantwortung für sich zu übernehmen, müsste sie sich dann nicht selbst verabscheuen? Könnte sie dann überhaupt noch jemanden gern haben? Und ich?, fragte sich Delius im Halbschlaf. Einfach wegzulaufen, ohne ein für alle Mal klarzustellen, warum ich das tat, war das nicht ebenso schlimm? Es gibt so wenig, worauf ich stolz sein kann, dachte er im Einschlafen. Fast nichts.

 

Und doch, als er Renate am nächsten Tag wiedersah – ein wenig ängstlich sah sie ihn an, sie hatte schlecht geschlafen und wirkte zerbrechlich und hilfsbedüftig, glaubte er daran, dass sie zueinander gehörten. Er wollte sich um sie kümmern – von heute an. Trotz der frühen, eher nüchternen Stunde und der Eile, in der sich Renate befand, glaubte Delius, dass sie das, was sie einmal getrennt hatte, verstehen könnten. Und danach? Offen sein, für das, was kommt, nahm er sich vor, und Renate nicht wieder aus den Augen verlieren. Er hörte ihr zu, als sie ihm in aller Hast noch einmal die Wohnung erklärte und dabei die Maßnahmen erwähnte, die für Liesel zu treffen seien.

„Futter, zweimal am Tag, immer frisches Wasser, drei Gänge in den kleinen Hof oder auf die Straße. Und spiel mal mit ihr, nur ein paar Minuten. Am Abend bin ich ja wieder da und kann mich dann selbst um alles kümmern. Nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie mich noch eine Nacht in der Klinik behalten wollen, habe ich das Bett im Gästezimmer für dich hergerichtet.“

Dann klingelte es, ein Taxifahrer meldete sich über die Gegensprechanlage, und Renate bückte sich, um Liesel zum Abschied zu streicheln, und richtete sich wieder auf. Ihre Augen waren ein wenig gerötet. Hastig umarmte sie Delius, löste sich, ergriff einen kleinen braunen Koffer und trat hinaus auf den Flur.

„Gute Befunde und fröhliche Heimkehr“, wünschte ihr Delius. 

Sie trug einen auf Taille gearbeiteten Mantel aus schwarzem Velour. Blass sieht sie aus, dachte Delius, nachdem sich die Fahrstuhltür hinter ihr geschlossen hatte.

„Und wir?“, fragte er die Dackelhündin, die neben ihm stand und ihrer Herrin nachlauschte, bis der Aufzug das Erdgeschoss erreicht und die schwere Haustür sich unten bewegt hatte. Ein leises Quiemen und ein kleines Schweifwedeln waren die Antwort. „Wir könnten eigentlich ein wenig weiter wegfahren und uns einen guten Tag machen“, murmelte Delius.

Er ging zurück in die Wohnung, trat an ein nach Süden gerichtetes Fenster, prüfte den Himmel. Er war wolkenlos. Es würde ein schöner Tag werden. Liesel stand neben ihm. Ihre Einschätzung des Tages hing von der hohen Gestalt ab, deren Absichten sie am ehesten aus der Bewegung der Beine erraten konnte. Die schritten plötzlich und zielstrebig zur Eingangstür. Die Gestalt schlüpfte in einen Mantel, bückte sich dann zu Liesel, um sie an die Leine zu legen, die neben der Wohnungstür hing. Das bedeutete doch wohl, dass es jetzt hinausginge in die Welt, die so voller Gerüche war, dass sie ganze Geschichten erschnüffeln und weit laufen konnte, ohne dass sich etwas wiederholte. Jetzt schlug der Mann gegen seine Manteltasche. Ein Schlüsselbund klirrte, er schien alles zu haben, was er für den geplanten Ausflug benötigte. Liesel fing an zu tänzeln und zerrte an ihrer Leine durch die Türspalte, die sich jetzt öffnete, zum Aufzug. Sie kannte das alles und freute sich, vermisste allerdings den freundschaftlichen Zuspruch, den ihre Herrin ihr bei solchen Gelegenheiten immer zuteil werden ließ und der ihre Vorfreude bis zur Ausgelassenheit steigern konnte. Der hohe Herr, der sie jetzt an der Leine führte, schien sie zu mögen, aber er war schweigsam und etwas in sich gekehrt.

Delius hatte sich entschlossen, an diesem Tag eine Wanderung in der näheren Umgebung, die er kannte, zu unternehmen. Er führte Liesel in den kleinen parkähnlichen Hof, ging dann aber, nachdem sie sich entleert hatte, zurück in die Fasanenenstraße und weiter zum Kurfürstendamm, um ein Taxi herbeizuwinken. „In den Grunewald“, sagte er dem  Fahrer, und als der nachfragte „wohin genau?“, nannte er den Hüttenweg, weil er sich erinnerte, dass er von dort bis zur Havel laufen konnte, ohne irgendeine Wohngegend zu berühren. Ihm war nach Laufen zu Mute. An einem Wochentag wie heute würde er nur wenigen Menschen begegnen. Liesel könnte ohne Leine herumstöbern, und er hätte Zeit zum Nachdenken.

Seine Wünsche schienen in Erfüllung zu gehen. Gleich jenseits der Avus stiegen sie aus und fanden einen sandigen Weg, der sie zum Teufelsberg und weiter zum Grunewaldturm am Havelufer führen würde. Liesel lief vorneweg, sie schien zu wissen, dass Delius ihr folgen würde. Der hielt beim Gehen den Kopf gesenkt, sog hin und wieder den Duft von Kiefern und feuchtem Sand ein und schaute zuweilen auf, um das Sonnenlicht zu genießen, das die Kronen der Kiefern in dunklem Grün leuchten ließ und zwischen den Baumstämmen helle Flecken auf den Waldboden malte.

Er erinnerte sich an Spaziergänge mit Renate, die sie in dieser Gegend unternommen hatten. Wir haben uns unsere Zukunft immer auf solchen Wegen zusammenphantasiert, dachte er und wusste plötzlich wieder, dass es dabei nicht immer freundlich zugegangen war. Viel schroffer und rechthaberischer hatte sie sich damals geäußert, als sie es gestern getan hatte. Instinktiv muss sie damals gefühlt haben, dass Hans Delius ihr nicht davonlaufen würde, wenn sie ihn mit den Haltungen und Meinungen ihrer Familienmitglieder traktierte. Die natürlich im Vergleich zu seinen eigenen Ideen und Vorstellungen immer den Vorteil hatten, aus eigener „Lebenserfahrung“ zu stammen – im Gegensatz zu den Eindrücken und Meinungen, die er irgendwo anders aufgeschnappt hatte und an denen er sich festhielt. Kunststück – woher sollte es auch kommen, ein eigenes Zuhause besaß er ja nicht. Aber dieser Eigensinn, dieses ewige Bohren und Nachfragen, was sollte das? „Ein bischen dankbar könntest du schon sein, dass du uns hast.“

Was ihm jahrelang ferngelegen hatte, ja in Vergessenheit geraten war, gewann nach dem Tag gestern und angesichts der Landschaft, die er so oft mit Renate durchwandert hatte, eine fast gespenstische Präsenz. Er sah Renate an seiner Seite, hörte ihre Stimme, die sich über irgendjemanden beklagte, über ihre Mutter vielleicht? Ja, über die hatte sie sich manchmal beklagt, allerdings immer aus den falschen Gründen. Und nie, ohne nach ihrer Beschwerde etwas Anerkennendes über diese starre und gehemmte Frau zu sagen. Eine gute Mutter sei sie gewesen, die schlechte Einflüsse von ihren Kindern ferngehalten habe, jetzt in dieser Zeit müsse man das besonders hoch bewerten, vor allem jüdische Einflüsse seien das gewesen, auch wenn sie es damit manchmal übertriebe. Sie und auch Andreas liebten nun einmal Gershwin, der ja eigentlich Gerstenwein geheißen habe, ja, und den Pianisten Oskar Levant, der seine Musik so toll spiele, den wolle sie sich auch nicht miesmachen lassen, oder Danny Kaye, der als David Daniel Kominsky in der Ukraine geboren wurde und doch auf amerikanische Art so hinreißend witzig sein konnte. Nichts gegen diesen komischen Zwerg. Aber trotzdem. Respekt habe sie nun mal vor ihrer Mutter. In ihrer Disziplin, ihrer nationalen Haltung und ihrem konsequenten Antisemitismus sei sie schon zu bewundern, auch wenn ihre Kinder und deren  Freunde oft anderer Meinung seien. „Das muss ich ja anerkennen.“ Ja, das hatte sie anerkannt, und er, Hans Delius, hatte diese Sätze einfach an sich abperlen lassen, als sei er aus Perlon und als wären Renates Sätze Regentropfen, die aus unschuldigen Wolken daherkamen und nicht aus der nationalen Giftküche. Hatte sie nicht auch die Nazi-Richter in Schutz genommen, die so brutal wie feige waren? Ein entwendeter Laib Brot konnte ein Todesurteil bedeuten, ein Hitlerwitz mit Zuchthaus bestraft werden, die Verteilung von Flugblättern gegen den Krieg und das Hitlerregime – Tod durch Enthaupten. „Schließlich war Krieg. Da gelten eben andere Regeln.“

„Und die heißen Willkür, Grausamkeit und Rachsucht, nicht?“, hatte er geantwortet.

Renate wollte ihm die Notlage dieser armen Justizbeamten erklären. „Die konnten doch nicht anders, sonst wären sie selbst dran gewesen, und nicht nur sie, auch ihre Familien.“

„Wenn man dein Argument weiterspinnt, dann konnte damals niemand anders, aber das entspricht einfach nicht den Tatsachen. Es gab auch ein paar Aufrechte, die eben doch anders konnten.“

Renate wollte ihm die Zwangslage der armen Richter und ihrer Gehilfen klar machen und wählte ein falsches und erschreckendes Beispiel: „Hans, du kennst doch meinen Vater, der tut doch keiner Fliege was zu Leide. Aber als Sanitätsoffizier musste er im Krieg an standrechtlichen Erschießungen teilnehmen und den Tod der Delinquenten feststellen.“

Nach diesem Geständnis war sie stehengeblieben und hatte ihren Kernsatz wiederholt. „Im Krieg gelten eben andere Regeln.“

„Ja, so einfach war das. Im Krieg wurden Menschen umgebracht und wegen lächerlicher Delikte zum Tode verurteilt, und mit dem Ende der Kampfhandlungen hörte man eben wieder damit auf und war so froh, dass nun alles vorbei war und man sich wieder freundlicheren Tätigkeiten zuwenden durfte. Arbeiten, Geld verdienen, etwas aufbauen, ein Waffenexportgeschäft zum Beispiel. Jetzt brachten sich andere um, wir lieferten ihnen allenfalls die Waffen, die sie dazu brauchten.“

„ Ach Hans, komm, was hat das alles mit uns zu tun, lassen wir das. Ich brauche Zeit, um das zu verstehen. Und du vielleicht auch?“

Wie habe ich das nur so lange ertragen können, fragte sich Delius und fand keine Antwort. Er hatte seinen Schritt beschleunigt, jetzt zwang er sich, nicht so zu rennen und Ausschau nach Liesel zu halten. Doch! Eine Antwort gab es: Ich hatte Angst, Renate zu verlieren. Angst vor dem Alleinsein, Angst, wieder in die Enge der eigenen Studentenbude zurückgeworfen zu werden. Das wusste er mit einem Mal, aber hatte er das nicht schon immer gefühlt?

Liesel war weg. Er rief, pfiff, das fehlte noch, dass sie mir hier wegläuft. Aber da kam sie angewackelt, schüttelte sich, als sie ihn erreicht hatte, dass die Ohren klatschten. Wie war es überhaupt möglich, dass er eine Frau liebte, die Ansichten und Meinungen vertrat, die er verabscheute? Er verstand es nicht und musste doch anerkennen, dass es sich so verhalten hatte.

Mit den eigenen Eltern, so lange sie noch lebten, hatte er nie über seinen Konflikt gesprochen. Auch mit seinem jüngeren Bruder  nicht und auch nicht mit Freunden. Sie alle hätten wohl nur eine Antwort gewusst: Trenn dich von ihr. Da hilft doch nur ein klarer Schnitt. Und gerade diese Antwort wollte er nicht hören. Nein, etwas anderes musste her, etwas Abwägendes, etwas wie: Kommt Zeit, kommt Rat, Gedanken oder besser Vermutungen, mit denen er sich selbst beschwichtigte. Hatte Renate überhaupt jemals eine eigene Ansicht vertreten? Vertrat sie nicht immer die Summe der Ansichten, die in ihrer Umgebung gerade die Überhand hatten?

Nichts von dem, was ihn jetzt anflog hier in dieser spröden, aber freundlichen Landschaft, war gestern zur Sprache gekommen. Aber gestern, aus dem Gespräch mit Renate, glaubte er herausgehört zu haben, dass sich ihre Einstellung geändert hatte. Hatte sie von Andreas’ Entschluss, sich vom Waffenhandel zu trennen und am Ende die Firma ganz zu verkaufen, nicht im Ton der Zustimmung berichtet? Vielleicht hatte sie sich doch verändert?, überlegte er. Aber dann musste er sich sagen, dass diese Veränderung eben nur in dem Maße oder Umfang galt, in dem sich eben alles veränderte. So wie es von den Umständen erzwungen wird, vom Älterwerden, von einer sich allmählich neu orientierenden Gesellschaft, oder von der sanften, aber stetigen Brise, die jetzt die verfärbten Blätter der Laubbäume erfasste und sie forttrug, weil sie nicht mehr gebraucht wurden, und weil es im Frühling neue Blatter geben würde. Nicht aus freien Stücken. Renate hatte sich so verändert, wie sich Tausende, nein Millionen von Menschen, veränderten: langsam, unmerklich, passiv. Eine deprimierende Einsicht.

Delius hätte gern zu den wenigen Menschen gehört, die eine Revolution anzetteln oder die sich gegen Haltungen oder Taten zur Wehr setzen, die sie ablehnen, weil sie gegen die eigenen Werte verstoßen. So einer war er aber  nicht, und Renate schon gar nicht. Sie wollte das auch gar nicht. Sie litt nicht unter ihrer eigenen Passivität. Nein, es war kein schöner Gedanke, nur ein Spielball zu sein, nur eines von vielen Blättern, die jetzt dahintrieben, oder von unendlich vielen Geschöpfen, die keine Spuren hinterlassen würden.

Er hielt nach Liesel Ausschau und sah sie einige Meter neben dem Weg schwer arbeiten. Mit erstaunlicher Intensität und Schnelligkeit grub sie ein Loch in das sandige Erdreich. Vielleicht hatte sie den Eingang eines Kaninchenbaus gefunden und versuchte nun durch eine Erweiterung des Eingangs selbst in den Bau hineinzukommen. Was immer: Liesel genoss den Augenblick und dachte nicht an wohin und woher. Delius musste plötzlich lachen, als die Dackelin von ihrer Erdarbeit aufschaute und ihn mit ihrem wachen Blick zur Teilnahme an ihrem Werk aufzufordern schien.

„Komm“, rief Delius und ging weiter, ein zu schwaches Signal für einen jungen Hund, der den Zwängen seiner Gene folgt. Erst als er in einen Dauerlauf verfiel, trennte sich Liesel von ihrem Loch und rannte neben ihm her, verlor sich jedoch bald wieder zwischen den Bäumen, um einen neuen Ort zu finden, an dem sie ein besonderer Duft zum Graben aufforderte. Es wurde ein kurzweiliger Spaziergang. Delius konnte seinen Gedanken nachhängen, musste gleichzeitig aber die kleine Hündin im Auge und im Sinn behalten. Für sie schien dieser Weg die erste Erfahrung von schrankenloser Freiheit zu sein.

Sie überquerten die Havelchaussee. Sicherheitshalber nahm Delius Liesel auf den Arm. Rechts von sich sah er den Grunewaldturm und verspürte sofort den Wunsch, dort oben zu stehen und in die märkische Landschaft hinauszuschauen. Vielleicht wäre er dort oben sogar allein, heute waren nur wenig Menschen unterwegs. Liesel schien sich müde gelaufen zu haben, sie ließ sich widerstandslos ein Stück tragen. Erst auf der Treppe, die in mehr als zweihundert Stufen nach oben führte, wurde sie unruhig. Der Ausblick übertraf alle Erwartungen. Unter Delius floss die Havel, ein paar weiße Dreiecke trieben geruhsam dahin, die Ufer des Flusses leuchteten in dunklem Grün und da, wo Buschwerk und Laubbäume standen, in  Gold, Ocker und Rot. Im Südwesten sah er hinter den Seen, zu denen sich der Havelfluss immer wieder erweiterte, die Türme von Potsdam. Da lag sie, die Westberliner Szene, die er als Heranwachsender ins Herz geschlossen hatte, und war wieder zusammengewachsen mit der Mark Brandenburg, deren Städte, Dörfer und Landschaften ihm während seiner Berliner Jahre schwer erreichbare Sehnsuchtsorte geblieben waren. Es war ein prächtiger Anblick, der sich ihm bot. Aber hatte er nicht auch in Neu-England und in Bayern schöne Landschaften genossen? Warum bedeutete ihm dieses Arkadien aus Fluss, Schlössern, Wald, Heide und Sand so viel mehr als alle anderen Gegenden auf der Welt? Prägung, dachte Delius, Schulrudern, Zeltlager auf Schwanenwerder oder der Pfaueninsel, Fahren mit dem Paddelboot, erste Liebe, lange Wochenenden – und ist es nicht wirklich schön hier, auch jenseits dieser biographischen Verknüpfungen? Noch ein langer Blick, die Havel entlang, über Kladow hinweg zur Pfaueninsel bis nach Glienecke und Potsdam, dann stieg er mit Liesel auf dem Arm wieder hinunter in den Mischwald aus Kiefern und  bunten Laubbäumen und ging bis ans Flussufer. Liesel hielt sich jetzt dichter bei ihm, schlabberte ab und zu etwas Havelwasser und trippelte dann ergeben hinter ihm her.

Seine Liebe zu dieser Landschaft, die einem anderen vielleicht ein wenig spröde oder sogar öde vorgekommen wäre, hatte wohl wenig mit objektiven Gegebenheiten, aber sehr viel mit seinem persönlichen Lebensweg zu tun, sagte er sich und fügte im Stillen hinzu, dass es sich mit seiner Neigung zu Renate wohl ähnlich verhielte und dass er sich letztlich keines von beiden ganz erklären konnte. Diese Gedanken und der Versuch, vielleicht doch den einen oder anderen verlässlichen Grund für seine Sympathien und Abneigungen zu finden, beschäftigten ihn immer noch, als sie sich Schwanenwerder näherten. In seiner Manteltasche vibrierte etwas.  Er fasste hinein, zog sein Mobiltelefon hinaus und meldete sich. Renate war am Telefon. „Wo bist du?“, fragte Delius.

„In der Klinik. Ich soll noch dableiben. Sie wollen morgen entscheiden, was zu tun ist.“ Ihre Stimme klang verzagt.

„So plötzlich?“ Delius war überrascht.

„Kannst du noch bleiben?“, fragte sie.

Delius überlegte. „Ich muss in München anrufen“, sagte er. „Aber wie lange müsste ich bleiben?“

„Ein paar Tage, wenige Tage. Sonst müsstest du Liesel in das Tierheim bringen, von dem ich dir erzählt habe.“

Delius war stehengeblieben. Die Dackelin, müde von den weiten Runden, die sie gedreht hatte, legte sich auf ein Stück Wiese und hechelte.

„Also, ich bleibe zunächst“, entschied Delius und versprach, seine Klinik in München anzurufen und noch ein paar Tage herauszuschinden.

„Ich melde mich wieder, nach vollbrachter Tat“, sagte Renate, „und denk an mich.“ Das klang niedergeschlagen. Hatte sie Angst vor etwas?

Delius legte Liesel wieder an die Leine und nahm sie bald darauf, als er merkte, wie müde sie war, auf den Arm. An der Wannseebadstraße, die nach Schwanenwerder hinüberführt, fand er ein Taxi, das ihn über die Avus wieder nach Charlottenburg brachte. Es war inzwischen Nachmittag geworden. Bereits auf der Avus staute sich der Verkehr, auch später, auf der Neuen Kantstraße, kamen sie nur langsam voran. Delius saß im Fond des Taxis, Liesel lag neben ihm, den Kopf an seinen Oberschenkel gelehnt. War es die Müdigkeit, die er nun auch spürte, der stetige Verkehrslärm oder die Suggestion durch die völlig entspannt neben ihm liegende Dackelin? Er hätte später nicht sagen können, warum er in diesem Augenblick seinen Körper verließ und den Mann, der da hinten im Auto saß, einen Dackel neben sich, quasi von außen betrachtete. Wer war das eigentlich, dieser vertraute Fremde und was tat er hier auf dem Rücksitz eines nach Zigarettenrauch stinkenden Taxis, neben einem müden kleinen Hund, der ihm nicht gehörte, auf dem Wege in eine Wohnung, die ihm ebenfalls nicht gehörte und von deren Existenz er erst seit gestern wusste. Dieser Mann gehörte doch nach München in die Sendlinger Klinik oder in seine Wohnung in Schwabing, an das Steuer seines eigenen Autos und des Abends in sein Wohn- und Arbeitszimmer, dessen Wände bis zur Decke reichend mit Büchern vollgestellt waren – oder sind?

Er holte tief Luft, begriff, das der Mann, den er immer noch von außen sah, sich  in Berlin und auf dem Wege in die Fasanenstraße befand und wohl auch dort ankommen würde. Aber das interessierte ihn plötzlich gar nicht mehr. Das eigentliche „Ich“ sehnte sich an seinen Schreibtisch zurück oder in seinen Sessel, in dem er Musik hörte oder sich durch das  Fernsehen über die Vorgänge in der äußeren Welt unterrichten ließ. Einmal abgesehen von seinen Kollegen und Mitarbeitern in der Klinik oder von seinen Patienten führte er doch ein ziemlich einsames Leben. Nur selten hatte ihn jemand zu Hause besucht, ein Studienkollege, den er am Stachus wiedergetroffen hatte, oder ein Schauspielerehepaar von den Kammerspielen, das er durch seine Tätigkeit als Theaterarzt kennen gelernt hatte. Vielleicht auch einmal Mitarbeiter und Kollegen aus der Klinik. Aber das waren bereits Verpflichtungen, denen er als Chef eben nachkommen musste. Selten ging er abends noch weg, und wenn, dann am liebsten in die Philharmonie im Gasteig oder in die Oper. Und dabei überkam ihn zuweilen der Wunsch, lieber in der Berliner Philharmonie, in der Oper unter den Linden oder im Opernhaus in der Bismarckstraße zu sitzen. Das war es, sagte sich Delius und wusste, dass er bis gestern keinen Anlass gesehen hatte, daran etwas zu ändern. Und nun?

Er war nach Berlin gekommen, um einen Kongress zu besuchen, und war plötzlich wieder in seine eigene Vergangenheit gefallen. Eine Vergangenheit, in der es Renate gab, die schöne Renate, zu der ihn irgendeine Kraft so hingezogen hatte, dass er ihre verstockte und in unannehmbaren Vorstellungen dahinlebende Familie in Kauf genommen hatte. Es hätte bei dieser einen Begegnung bleiben können. Er könnte längst wieder in München sein, allerspätestens morgen wieder zurückfahren, aber dieses andere „Ich“, das jetzt im Fond eines nach Zigarettenqualm riechenden Wagens saß, hatte anders entschieden. „Fasanenstraße, nicht weit von der Villa Grisebach“, sagte Delius dem Fahrer, der sich noch einmal vergewisserte, wohin er den Passagier mit seiner Dackelin zu befördern hatte.

Der Zustand des Neben-sich-stehens verließ ihn erst wieder, als er ausstieg. Liesel musste noch einmal in den kleinen Hof geführt werden, dann betrat er Renates Wohnung,  fütterte die Dackelin und stellte ihr frisches Wasser hin. Schließlich ließ er sich in einen der weinroten Sessel in Renates bürgerlichem Wohnzimmer fallen. Die frische Luft und der lange Spaziergang hatten ihn ermüdet. Er musste eingeschlafen sein, denn als er wieder klar denken konnte, war es draußen bereits dunkel. Delius machte Licht. Was war los mit Renate? Erst jetzt wunderte er sich darüber, wie fraglos er Renates Ankündigungen entgegengenommen hatte. Sie müsse zu einer Untersuchung. Spätestens am Abend sei sie wieder zu Hause. Und dann: Man wolle sie dabehalten und am anderen Tag, also morgen erst, entscheiden, was zu geschehen habe. Warum? Was fehlte ihr? Delius stand auf und drehte überall das Licht an, als könne die künstliche Beleuchtung, die überall durch gelbliche oder rot-gelbe Lampenschirme gefiltert wurde, auch seine Gedanken erhellen. Er ging durch die Wohnung, spielte auf dem Steinway ein paar Läufe und Akkorde, suchte in der Küche nach etwas Essbarem, fand aber nichts, das ihm behagte und beschloss, eines der kleinen Restaurants in seiner Straße aufzusuchen. Liesel würde es, daran erinnerte er sich, ein oder auch zwei Stunden allein aushalten. Er suchte nach ihr und fand sie schließlich in Renates Zimmer auf dem Bett ihrer Herrin. Vermisste sie Renate? Liesel bemerkte ihn, klopfte mit dem Schwanz auf den bunten Überwurf, mit dem das Bett abgedeckt war, machte aber keine Anstalten, ihren Platz zu räumen. Er sah sich um: Das Zimmer glich, soweit er sich erinnerte, weitgehend dem Raum, den Renate früher im Haus ihrer Eltern bewohnt hatte. Auch in ihrem  Dahlemer Zimmer hatten die blauen Töne überwogen, allerdings kein so dunkles Blau wie hier. Aber etwas anderes schien neu zu sein. Die Tür in der dem Bett gegenüberliegenden Wand hatte es damals nicht gegeben. Sie führte, wie er jetzt feststellte, in eine begehbare Ankleide. Ein weiß lackierter Schrank, Regale, eine Hängegarderobe für Kleider und Mäntel und … was war das? Einen Moment lang erschrak er, als er die Köpfe sah, die auf einem mannshohen Gestell hingen. Nein, keine Köpfe. Nur Perücken, die so frisiert waren, wie Renate ihre Haare trug. Hochgestecktes, mit einigen Klammern befestigtes Haar. Dunkelbraun, fast schwarz die eine, silbergrau und schwarz eine zweite. Die dritte, ebenfalls in Dunkelbraun gehalten, zeigte eine Ponyfrisur mit schulterlangem Haar. Sie saß auf einer kopfgroßen Attrappe aus hellem Stoff, gesichtslos wie die anderen. Delius erkannte die Haartracht. So trug Renate ihre Haare, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren. Diese Frisur hatte sie beibehalten, nachdem sie ihr Abitur gemacht hatte und einige verschiedene Studiengänge ausprobierte, bevor sie sich entschloss, Kunstgeschichte zu studieren. Er betastete die Attrappen, auf denen die Perücken saßen. Rosshaar, stellte er fest, mit hellem Leinen bespannt. Was tat sie damit? Aufsetzen, sagte er sich, was denn sonst? Und dann wusste er plötzlich, warum diese Perücken sich hier  befanden. „Deine Haare haben mich einen Augenblick abgelenkt“, hörte er sich sagen. Gestern, als sie sich trafen. Sie trug eine dieser Perücken, weil sie kein eigenes Haar mehr hat, oder zumindest nicht mehr genug davon, um nicht aufzufallen. Chemotherapeutika, dachte er. Sie hat Krebs und nimmt diese Medikamente, die Haarausfall verursachen. Jetzt bekam auch die Untersuchung, zu der sie sich heute morgen  in die Klinik begeben hatte, einen anderen Sinn. Es musste eine Kontrolluntersuchung sein, die helfen sollte, den Stand des Leidens zu beurteilen und zu entscheiden, ob die Therapie etwas gebracht hatte. Und die Entscheidung, die sie erwähnt hatte? Worauf  sich die bezog, wusste er nicht. Sie hatte ihm ja nichts gesagt. Aber sie war krank, vermutlich ernstlich krank, und sie verbarg diese Tatsache vor anderen Menschen. Auch vor ihm. Er sah auf die Uhr. Sie hatte ihm das Krankenhaus genannt , das sie aufsuchen wollte, die Abteilung allerdings nicht erwähnt. Heute war es ohnehin zu spät, sie anzurufen. Außerdem: Sollte er nicht warten, bis sie sich selbst meldete? Auch für den Fall, dass er sie jetzt noch erreichte, wäre sie wohl nicht in der Verfassung, ihm die Situation zu erklären. Später,  dachte er und ging in die Diele, um seinen Mantel zu holen. Liesel sollte hier bleiben. Er zog die Wohnungstür hinter sich zu und fuhr hinunter in die Fasanenstraße. Da drüben, das italienische Restaurant sah passabel aus. Aber als er das Lokal nach einer knappen Stunde wieder verließ, hätte er nicht sagen können, was er gegessen hatte. Die Perücken in Renates Ankleide und die Mutmaßungen, die dieser Fund in Gang gesetzt hatte, nahmen ihn so in Anspruch, dass neue Eindrücke kaum noch Zugang zu seinem Bewusstsein fanden. Zurück in der Wohnung betrachtete er noch einmal die Perücken. Eine, die mit der Ponyfrisur, nahm er in die Hand. Das Haar, aus dem sie gefertigt war, ähnelte Renates eigenem Haar, so, wie er es in Erinnerung hatte, zum Verwechseln. Er ließ eine Haarsträhne durch die Finger gleiten. Auch die Berührungsempfindung rief frühere Eindrücke zurück. Die Kunsthaut, in der die Haare steckten, war dünn und geschmeidig. Eine phantastische Arbeit, fand Delius. Diese Dinger mussten sündhaft teuer gewesen sein. Er ging zurück in das Wohnzimmer, setzte sich auf einen der Sessel und freute sich, als Liesel herbeiwatschelte und sich zu seinen Füßen niederließ.

Vor vierzig Jahren bin ich einfach gegangen, dachte er. Immer wieder kehrten seine Gedanken zu diesem Ereignis zurück. Warum? Ich hätte mich doch noch einmal unzweideutig erklären können. Nachdem ich es schon so oft vorher versucht habe? Ich hatte Angst vor der Konfrontation, Angst vor einer entscheidenden Unterredung. Angst, Renate in die Augen zu sehen und zu wissen, dass es für immer sein würde. Ich wollte weg, aber nicht wahrhaben, dass ich damit eine unwiderrufliche Entscheidung traf. Feigheit war es, gestand er sich ein. Feigheit vor dem Freund, wie Ingeborg Bachmann das einmal genannt hatte. „Ich laufe dir nicht hinterher“, hatte Renate ihm einmal während eines Streites gesagt, und er wusste, dass sie es ernst meinte. Auf ihn warten? Vielleicht. Ihn suchen? Ihm hinterherlaufen? Niemals. Weil er das wusste, hatte er es vorgezogen, einfach zu gehen ohne ein Wort.

Renate hatte ihm in ihrem Gästezimmer ein Bett bereitet: „für den Fall, dass ich erst später wiederkomme.“ Also blieb er. Im Einschlafen hörte er, wie die Dackelin in sein Zimmer kam. Als er am anderen Morgen erwachte, lag sie zusammengerollt vor seinem Bett. Nur so konnte sie sicher sein, den Mann, der da vorgestern erschienen und nun zumindest vorläufig an die Stelle ihrer Herrin getreten war, nicht aus den Augen zu verlieren. Nein, sie würden zusammenbleiben, bis Renate wieder da sei, sagte ihr Delius, und Liesel wedelte mit dem Schwanz. Verstand sie ihn? Sicher  bis zu einem gewissen Grade. Dennoch folgte sie ihm auf Schritt und Tritt, auch ins Badezimmer und dann hinunter auf die Straße und in den kleinen Hof, an die vertrauten Orte, die zu ihrer Schnupperwelt gehörten. Dann wieder nach oben. Liesel erinnerte sich eines Balles, den ihr Renate manchmal warf und verlangte nun ein Gleiches von dem Mann, der ihr gestern bei ihrem Ausflug in die Welt so zuverlässig Gefolgschaft geleistet hatte. Delius verstand die Aufforderung. Er warf den Ball, Liesel tobte hinterher, genoss es, wenn er irgendwo abprallte, auf den Boden sprang oder von einem Sitzmöbel hinabrollte. Solche Szenen gaben ihr Gelegenheit, das runde Ding in der Luft zu schnappen, flink und elegant, und das Spielzeug mit hocherhobenem Schwanz zu dem verständnisvollen Mann zurückzutragen, damit er es wiederum für sie in die Gegend schleuderte. Er hatte wohl auch Spaß an der Sache und hörte nicht gleich wieder auf, wozu ihre Herrin leider neigte. Nein, der machte weiter und ließ sich immer wieder neue Wege einfallen, die der Ball nehmen konnte.

Das Spiel hätte noch eine Weile so weitergehen können, aber das Telefon klingelte. Und soviel hatte Liesel schon erfahren: Wenn es klingelte, dann unterbrachen die Menschen meistens das, was sie gerade taten. Und so verhielt es sich auch jetzt. Delius nahm keine Notiz mehr von Liesel, die jetzt gerade zum x-ten Male den Ball wieder zu ihm trug. Er bewegte sich sehr schnell hinaus auf die Diele, wo ein Telefon stand und meldete sich: „Hier bei Frau Doktor Wilms.“ Er erwartete, eine Nachricht für Renate entgegennehmen zu können. Aber eine Stimme am anderen Ende der Leitung fragte: „Spreche ich mit Herrn Doktor  Delius?“

Ja, der war er, und diese direkte Frage verhieß nicht unbedingt etwas Gutes. „Frau Wilms hat Ihren Namen als die Person angegeben, die zu benachrichtigen sei, wenn ihr etwas zustieße.“

„Nicht ihren Bruder?“, fragte Delius, um überhaupt etwas zu sagen.

„Nein“, antwortete die Stimme. „Hier steht Doktor Hans Delius und dann die Adresse in der Fasanenstraße. Der sind Sie doch?“ Ja, der war er.

„Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Frau Doktor Wilms heute früh gestorben ist“, sagte die Stimme.

„Was ist denn passiert?“ Delius war entgeistert. „Sie war doch munter, als sie gestern früh hier wegging. Mein Gott …“  Ich sollte jetzt aufwachen, sagte er sich, aber da war keine zweite Wirklichkeit, in die er sich flüchten konnte. Am anderen Ende entstand eine längere Pause. „Ich dachte, Sie wüssten Bescheid …“

„Nein, wir haben uns lange nicht gesehen und haben uns erst vor zwei Tagen wiedergetroffen. Durch Zufall.“

„Unter diesen Umständen ist es wohl besser, wenn wir uns persönlich unterhalten. Fragen Sie nach Doktor Alfons Schmidt, onkologische Abteilung. Ja, ich bin noch eine Weile im Hause. Sicher bis drei Uhr nachmittags. Kommen Sie doch am besten gleich.“

Alfons Schmidt war ein hagerer, hochgewachsener Mann mit graumeliertem Haar und einem scharf geschnittenen Gesicht. Er traf Delius, nachdem dieser sich in der Onkologie gemeldet hatte, und führte ihn in sein Arztzimmer, in das jetzt am Vormittag die Sonne schien. Bereits bei der Begrüßung auf der Station beschlich Delius das Gefühl, dass dieser Schmidt, der ihn ernst, aber nicht unfreundlich ansah und in dessen Bewegungen er etwas Gemessenes, ja Feierliches zu erkennen glaubte, über Einsichten verfügte, die weit über das hinausgingen, was man als ärztliche Routine bezeichnete.

Während sie in Schmidts Zimmer Platz nahmen, Schmidt mit dem Rücken zum Fenster, Delius ihm gegenüber, aber so weit zur Seite gerückt, dass die Sonne ihn nicht blendete, fragte sich Delius, ob der starke Eindruck, den dieser Mann auf ihn machte, mit der Nachricht zusammenhing, die er ihm bereits telefonisch übermittelt hatte, oder ob ihm darüber hinaus eine Rolle in der Deutung von Renates Leben zukäme, die ihn, Delius einschließen würde und die er im Stillen als richterlich bezeichnete.

„Frau Wilms war schon lange unsere Patientin“, begann Schmidt und erweckte mit diesem Satz bei Delius das Gefühl, dass dieser strenge, unbestechlich wirkende Mann weit in die Vergangenheit sehen könne und Dinge von Renate wisse, von denen er, Delius, keine Ahnung hatte.

„Bei ihrem ersten Besuch vor vier Jahren diagnostizierten wir ein kleines Ovarialcarcinom rechts, das aber bereits zu einer Aussaat im Bauchraum geführt hatte. Das Fortschreiten des Tumors ließ sich durch verschiedene Kombinationen von zytostatischen Medikamenten aufhalten, aber seit etwa einem Jahr war es klar, dass wir unsere Möglichkeiten weitgehend erschöpft hatten. Immerhin stellte sich die Frage, ob sich das Ende mit irgendeiner zusätzlichen Maßnahme – wir dachten an eine Bestrahlung – noch hinausschieben ließe, ohne die Lebensqualität der Patientin allzu sehr zu beeinträchtigen.“

Schmidt schwieg und fixierte seinen Besucher. Wieder hatte Delius das Gefühl, als säße hier jemand über ihn zu Gericht. „Die Ergebnisse gestern waren leider nicht ermutigend. Wir kamen zu dem Schluss, dass wir nichts mehr unternehmen sollten, nur Schmerzmittel sollte Frau Wilms bekommen, um die letzten Wochen gut durchzustehen. Hinzu kam, dass Frau Wilms mir sagte, in ihrem Leben habe sich ein Ring geschlossen. Eine von außen gesehen zufällige Begegnung habe eine Unruhe, unter der sie den größeren Teil ihres Lebens gelitten habe, ein für alle Mal besänftigt. Sie habe ihre letzten Verfügungen getroffen und wolle auf weitere Behandlungen, die sie nur müde und elend machen würden, verzichten.“ Immer noch hielten die eisblauen Augen Delius fest. „Wir wollten Frau Wilms eigentlich heute früh nach Haus schicken.“

„Und?“, fragte Delius, der bisher nur zugehört hatte.

„Sie hat sich selbst entlassen – ein für alle Mal.“

„Hat sie sich …“

„Nein. Sie hatte wohl eine massive Lungenembolie, das jedenfalls war die klinische Diagnose. Ich denke, die Obduktion, die morgen erfolgen soll, wird diese Diagnose bestätigen. Angesichts der Grundkrankheit haben wir keinen Versuch zur Entfernung der Thromben aus der Lungenarterie unternommen.“

Jetzt schwieg Schmidt. Delius brachte zunächst keinen Ton hervor. Vielleicht dauerte das Schweigen eine halbe Minute, vielleicht auch länger. Warum ich?, dachte Delius. Sie hat doch Andreas, ihren Bruder. Er hob den Blick und bemerkte, dass Schmidt ihn immer noch ansah.

„Ich bin völlig überrascht“, sagte er leise und fügte hinzu „aus zwei Gründen. Einmal darüber, dass sie sehr krank war und man ihr wenig anmerkte, ich ihr nichts anmerkte“, fügte er fast flüsternd hinzu, „und zweitens, dass ich derjenige bin, der als Erster benachrichtigt werden sollte, wenn ihr etwas zustieße.“

„Nicht Sie als Erster“, sagte Schmidt. „Sie als Einziger.“

„Und wenn wir uns nicht getroffen hätten?“

„Aber Sie haben sich getroffen. Als Frau Wilms sich gestern stationär aufnehmen ließ, hat sie in der Rubrik des nächsten Angehörigen Ihren Namen angegeben und nur diesen einen Namen.“

„Und was wird nun? Ich meine, muss ich mich …“

„Sie müssen nichts tun“, unterbrach Schmidt. „Nein, Frau Wilms hatte genügend Zeit, sich um alles zu kümmern. Ihren Rechtsanwalt haben wir bereits benachrichtigt, der leitet alles in die Wege.“

Delius fühlte sich elend, seiner eigenen Gefühle und Absichten beraubt. Erst die Begegnung mit Renate, der gemeinsame Nachmittag, dann die Ankündigung ihres Krankenhausbesuches, die im ersten Moment unheimliche Begegnung mit den Perücken und nun dieses Ende.

„Wollen Sie Frau Wilms noch einmal sehen?“, fragte Schmidt und erhob sich  gebieterisch hinter seinem Schreibtisch. Eigentlich wollte Delius nicht, er wollte nur noch weg, hinaus aus diesem Haus, weg aus dieser Stadt, aus dieser Situation, in die ihn seine Begegnung mit Renate gebracht hatte. Aber was würde dieser Arzt, der ihm so unerträglich korrekt und gradlinig vorkam, denken, wenn er ablehnte? „Ja, wenn es möglich ist“, antwortete er und hoffte, dass  der Leichnam sich bereits in der Pathologie befände und dass sich ein Grund finden würde, dieses letzte In-Augenschein-nehmen doch noch zu verweigern.

Aber daraus wurde nichts. „Kommen Sie“, sagte Schmidt und hielt die Tür zu seinem Dienstzimmer auf. Nebeneinander gingen sie den Stationsflur entlang. „Ich habe die Tote noch hier behalten, weil ich mit Ihnen rechnete.“

Der Raum war abgeschlossen. Schmidt öffnete die Tür. Dann standen sie in einem schmalen, kühlen Zimmer. Die Leiche lag bereits auf einer fahrbaren Bahre, nur mit einem weißen Laken bedeckt. Mit einer entschiedenen Bewegung zog Schmidt das Laken von Renates Gesicht. Delius erschrak. Die Frau, die da vor ihm lag und der er sich einen kleinen Schritt genähert hatte, war ihm fremd. Ein nur von spärlichen grauen Haaren bewachsener Schädel. Augen, die tiefer in den Höhlen lagen, als er es von dem lebendigen Gesicht in Erinnerung hatte. Die Wangen wiesen eine leichte, nach innen gerichtete Wölbung auf, die Lippen erschienen im Bereich des linken Mundwinkels leicht verzogen, was dem Gesicht einen abweisenden, fast bösartigen Ausdruck gab.

So hätte ich sie nicht wiedererkannt, wollte Delius sagen, aber er schwieg und versuchte, dieses Gesicht mit dem lebendigen Antlitz in Verbindung zu bringen, das ihm vor zwei Tagen auf dem Kurfürstendamm begegnet war. Es gelang ihm nicht. Dieses war ein anderes Gesicht, von dessen Existenz er nie etwas bemerkt hatte. Er wandte sich ab.

„Soll ich Sie einen Augenblick allein lassen?“, fragte Schmidt.

Delius erschrak noch einmal. „Nein“, sagte er und dann noch einmal etwas entschiedener: „Nein.“

„Es war nur eine Frage“, erwiderte Schmidt. Es klang in diesen Worten eine gelinde Herablassung wie „Das hätte ich von Ihnen auch nicht anders erwartet.“ Schmidt reichte ihm die Hand. Delius ergriff sie und kam sich vor wie ein Schüler, der nach einer Prüfung verabschiedet wird. Bestanden? Nein, nicht bestanden, dachte er und wäre am liebsten weggelaufen. Aber das ging nicht. Schmidt geleitete ihn hinaus, steifen und würdevollen Schrittes, und nickte ihm noch einmal zu, als er ins Freie trat.

Als er wieder zu sich kam, saß er in einem Taxi und fuhr zurück in die Fasanenstraße. Der Hund fiel ihm eine, Liesel. Was sollte er mit ihr machen? Ins Tierheim bringen? Sie mit nach München nehmen? Ins Tierheim – das brächte er nicht übers Herz. Nein, er würde sie mitnehmen. Aber wer würde für Liesel sorgen, während er arbeitete? Das Bild der Toten, der nur spärlich mit Haaren bewachsene Schädel, die nach innen gewölbten Wangen, der etwas verzogene Mund, der strenge, fremde Ausdruck auf einem Gesicht, das ihm zwei Tage vorher noch lebendig und ausdrucksvoll begegnet war, wollte ihn nicht verlassen. Als wäre sie in den wenigen Tagen, die seit unserer letzten Begegnung vergangen waren, um Jahre gealtert, dachte Delius. Als hätten alle die Jahre, in denen wir getrennte Wege gingen, erst ganz zuletzt ihre bitteren und dunklen Spuren in dieses Gesicht gelegt und damit etwas nachgeholt, was während des langen Wartens nicht geschehen durfte. Eine zweite Vorstellung quälte ihn und ließ sich nicht abschütteln: die Erwartung, dass ihm Alfons Schmidt, dieser strenge Alleswisser, wieder begegnen würde.

Ein Gefühl des Ausgeliefertseins hatte Delius ergriffen. Wie konnte sich so etwas ereignen?  Von dem Augenblick an, als sie sich auf der Straße erkannt hatten, folgte alles Übrige mit einer fast unheimlichen Zwangsläufigkeit. Der Weg in ihre Wohnung, in die gemeinsame Vergangenheit, seine Bereitschaft, sich um den Hund zu kümmern, auf ihre Rückkehr aus der Klinik zu warten. Dann der Anruf aus der Klinik … als hätte er vor zwei Tagen einen Raum betreten, den er nur in einer Richtung verlassen konnte. Und auch der nächste Raum ließ nur einen Ausweg zu, immer nur in eine Richtung, von einem Zimmer in das nächste bis zu der Kammer mit der Toten, die er eben verlassen hatte.

Der Fahrer drehte sich zu ihm um. „Hier?“

„Da vorne“ Delius zeigte auf den Durchgang, der zu Renates Wohnung führte. „Halten Sie hier.“

Der Fahrer nannte einen Preis. Delius stieg aus. Er sah auf die Uhr. Früher Nachmittag. Der Hund fiel ihm wieder ein, Liesel. Als er aus dem Fahrstuhl trat, hörte er bereits schniefende Laute hinter der Wohnungstür.

Er öffnete und trat ein. Liesel umsprang ihn, versprizte in ihrer Erregung jedesmal, wenn sie an ihm hochsprang, ein paar Tropfen Urin. Sie musste dringend nach unten geführt werden, aber im Hintergrund klingelte plötzlich das Telefon. „Du musst noch warten, Liesel, nur einen Augenblick.“

Eine Speditionsfirma meldete sich. „Wir kommen morgen früh, wenn es Ihnen recht ist“, sagte eine pomadige männliche Stimme.

„Wann genau?“

„Gleich um achte.“

Während Liesel aufgeregt und voller Erwartung um ihn herumtrippelte, erklärte der Speditionsangestellte umständlich, dass ein Rechtsanwaltsbüro sie beauftragt hätte, die Wohnung von allen Möbeln, Bildern und allem Hausrat zu räumen. Er nannte den Namen des Rechtsanwaltes. Es war derselbe, den auch der Arzt in der Klinik erwähnt hatte. „Gut, ich werde Sie hereinlassen“, hörte Delius sich sagen und legte auf, um gleich darauf die Dackelin ins Freie zu führen.

Ein weiterer Tag, dachte er, als er spät am Abend, nachdem er zusammen mit Liesel eines der kleinen Restaurants in seiner Nachbarschaft besucht hatte, ins Bett ging. Aber, was ihm begegnet war, ließ sich nicht nach Tagen bemessen, also fasste er sich in Geduld, ließ die Möbelpacker am anderen Morgen in die Wohnung, unternahm mit Liesel einen weiteren langen Spaziergang im Grunewald und kehrte abends zu der vereinbarten Zeit noch einmal in die Fasanenstraße zurück. Die Wohnung war leer. Nur ein paar Kisten standen noch herum. Sie würden morgen abgeholt und zu dem bereits abtransportierten Hausrat ins Lager gestellt, ließ ihn der Möbelpacker wissen. „Aber Sie müssen jetzt nicht mehr dabei sein“, sagte der Mann, „wir haben einen Schlüssel und kommen morgen früh noch mal wieder.“

„Und meinen Schlüssel schicke ich an das Rechtsanwaltsbüro?“,  fragte Delius.

„So wird et wohl sein.“ Der Möbelpacker ließ ihn eine Liste unterschreiben, auf der die Leistungen seiner Firma verzeichnet waren und verabschiedete sich umständlich. Erst nachdem er gegangen war, fiel  Delius ein, dass er wohl auf ein Trinkgeld gewartet hatte. Er würde es ihm mit einer entsprechenden Notiz in seine Spedition schicken.

Es fing an zu dämmern. Morgen würde er nun wirklich nach Hause fahren, sagte sich Delius und setzte sich auf eines der breiten Fensterbretter in dem Raum, der bis vor wenigen Tagen als Musikzimmer gedient hatte. Kaum wiederzuerkennen, die Räume, in denen sich gestern noch die Requisiten eines ganzen Lebens befunden hatten, dachte er. Auch Liesel schien die plötzliche Leere zu beunruhigen. Delius hörte, wie sie die Wohnung durchstreifte, um vielleicht doch noch einen Gegenstand zu finden, der ihr die Gewissheit gab, hier zu Hause zu sein. Er hörte auf das ratlose Geräusch, das Liesels Krallen auf dem glatten Holzfußboden erzeugten, während sie von Zimmer zu Zimmer lief, auf der Suche nach gestern. Schließlich gab sie es auf und legte sich zu seinen Füßen auf das blanke Parkett, von wo aus sie gelegentlich zu ihm emporschielte, um sicher zu sein, dass er sie nicht allein in dieser Leere zurücklassen würde.

Lange blieben sie so beieinander. Die Dämmerung war in Dunkelheit übergegangen, aus den Fenstern der Nachbarhäuser fiel jetzt überall Licht. „Gehen wir?“, fagte Delius leise, woraufhin die Dackelin sich eilig aufrappelte und, auf dem glatten Parkett gelegentlich ausrutschend, den Schritten des Mannes folgte, der jetzt die Wohnungstür erreichte, sie in das erleuchtete Treppenhaus treten ließ und dann die Tür hinter sich und seiner kleinen Gefährtin verschloss.